von Doris Wallner
Ich blieb stehen und bückte mich. Und während ich mir meinen Wanderschuh etwas lockerer schnürte, war plötzlich ein Gedanke da, ein Satz:
Nicht immer liegt es am Schuh, wenn der Schuh drückt.
Wenn ich alleine zu Fuß unterwegs bin, ist das ganz oft so. Meistens ausgelöst durch etwas ganz Banales, taucht plötzlich ein einzelner, fertig formulierter Satz in mir auf, gefolgt von einer Reihe mehr oder weniger philosophischer Betrachtungen, die ich mittlerweile liebevoll meine „Geh-danken“ nenne.
Und dieses Mal war es eben mein Wanderschuh, der meine Geh-danken anregte. Ich hatte offenbar etwas zu dicke Socken erwischt für diese Wanderung und da es auch recht warm war und meine Füße schon etwas angeschwollen, hatte sich mittlerweile eine unangenehme Druckstelle auf dem vorderen Rist gebildet. Und schon beim Lockern der Schuhbänder stellte sich dieser eine Satz ein.
Nicht immer liegt es am Schuh, wenn der Schuh drückt.
Beim „befreiten“ Weitergehen kam dann (analog zur Blutzirkulation in meinen Füßen?) ein regelrechter Schwall von Analogien mit meinem Leben…
Nicht immer liegt es am Schuh, wenn der Schuh drückt. Es muss nicht sein, dass der Schuh zu klein ist oder zu eng. Es muss nicht sein, dass man den falschen Schuh anhat, einen, der einfach nicht passt. Vielleicht liegt es auch daran, dass man zu dicke Socken anhat, dann steht zu viel dazwischen, zwischen dem Schuh und der eigenen Haut. Mit einer dünneren Trennschicht muss man zwar den Schuh näher an sich heranlassen, bekommt aber dadurch auch etwas mehr Bewegungsspielraum, etwas mehr Luft.
Vielleicht muss man manchmal auch genauer hinschauen. Stehen bleiben, den Schuh öffnen, schauen, wo die Stelle ist, an der es drückt und dann den Schuh so schnüren, dass er wieder richtig sitzt, lockern an den schmerzenden Stellen, damit es dort wieder fließen kann.
Manchmal muss man auch ein bisschen herumprobieren, bis man das richtige Maß findet, denn allzu locker gebundene Schuhe geben keine Stabilität mehr. Gerade in unwegsamem Gelände ist diese aber notwendig. Wichtig ist, dass man selbst herausfindet, wie man sich den Schuh binden muss, damit man sich wohl fühlt damit.
Nach längerem Tragen wird man auch immer wieder einmal nachjustieren müssen. Oft genügt schon ein kleines Körnchen oder Steinchen, das von außen in den Schuh fällt, um den Tragekomfort erheblich zu stören, ja, das Tragen sehr schmerzhaft oder sogar unmöglich zu machen.
Bei manchen Schuhen muss man auch erst „hineinwachsen“, mancher Schuh passt sich mit der Zeit auch an den Fuß an, sodass eine perfekte Verbindung entsteht.
Manchmal werden Schuhe auch kaputt. Reparieren ist möglich, zumindest eine gewisse Zeit lang und bis zu einem gewissen Grad.
Manche Schuhe erzeugen zwar wissentlich Blasen, aber man benutzt lieber ein Blasenpflaster, als auf sie zu verzichten, weil man sie einfach so gern hat.
Und manchmal passt ein Schuh einfach wirklich nicht.
Und dann sollte man einen anderen anziehen.
Oder barfuß gehen.
© Doris Wallner 2020-05-10