von Peter Schwanter
Wir hatten ein Gespräch. Ich und einer meiner „Bewohner“. Sie bezeichnen sich selbst so, die „Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf“ wie sie offiziell und korrekt genannt werden sollen. Sie nennen sich „Bewohner“, wohl auch deshalb, weil sie sich als Bewohner ihres „Wohnhauses“ sehen und fühlen. Eine reife Entscheidung, wie ich finde.
Ja, wir hatten ein Gespräch. Es begann ganz unvermittelt. Ich war gerade dabei nach dem gemeinsamen Mittagessen den Geschirrspüler zu starten, als Gerald plötzlich vor mir stand und mir ganz unaufgeregt, beinahe stoisch folgende Frage stellte: „Du Peter, wie lange geht das denn noch mit dem Virus?“ Ich sah ihn an und antwortete, während ich die Arbeitsfläche abwischte, mit dem gewohnten: „Keine Ahnung – Ich hoffe wir haben das Gröbste bald überstanden!“ Es war eine ehrliche Antwort und eigentlich endeten an dieser Stelle unsere Frage und Antwort Kommunikationen in letzter Zeit damit, dass sich jeder wieder seinen Dingen widmete.
Diesmal aber kam es anders. „Stimmt das alles, was die im Fernsehen sagen?“, setzte Gerald fort. „Ja, eigentlich schon“, antwortete ich, „Ich glaube die beschäftigen viele Menschen, die genau untersuchen, was man tun kann. Und wenn es dann neue Ergebnisse gibt, dann erfahren wir es aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung.“
„Aber die sagen ja auch einmal so und einmal so!“ erwiderte er, „und die Politiker tun auch nicht immer das, was die Ärzte sagen. Wie soll ich wissen, ob das stimmt?“ Jetzt war es vorbei mit den üblichen Antworten und Vertröstungen. Ich wollte nicht Sätze wie „Es wird bald wieder anders werden!“ oder „Wir müssen halt noch Geduld haben!“ in unser Gespräch einwerfen, und während ich noch überlegte, setzte Gerald schon nach. „Ich kann ja dich oder einen Mitarbeiter fragen, wenn ich mich nicht auskenne, und wen kannst du fragen?“
Mit dieser Aussage ließ er mich dann alleine in der Küche stehen – genauso ratlos, wie ich ihn höchstwahrscheinlich bei seiner letzten Frage angesehen habe. Es schien ihm wichtiger gewesen zu sein, seine Unsicherheiten auszusprechen, als wirklich eine Antwort auf diese Frage abzuwarten. Ob ich sie befriedigend beantworten hätte können, steht ohnehin in den Sternen.
Diese Begebenheit hat sich vor ungefähr einer Woche ereignet und sie beschäftigt mich in zweierlei Hinsicht bis zum heutigen Tag.
Der erste Aspekt für mich ist, dass ich in solchen Situationen oft wirklich nicht weiß, wen ich fragen könnte und sollte ich Antworten kennen, wie komme ich dann zu plausiblen und nachvollziehbaren Erklärungen für meine „Bewohner“?
Zweitens ist mir klar geworden, dass ich (und meine KollegInnenschaft) in diesem Gespräch eines der größten Komplimente bekommen habe, das man von „Heim“ (Wohnhaus) Bewohnern überhaupt erhalten kann:
Uns wird das Vertrauen geschenkt, dass wir sie auch durch knifflige Situationen begleiten dürfen und dass wir ihnen eine Sicherheit zum Leben geben.
Danke an Gerald und all die anderen!
© Peter Schwanter 2020-04-23