Die Gedanken kreisen, nur um eines: Ich will ihn küssen! Immer wieder bereite ich mich gedanklich mit den Worten „Aber beim nächsten Mal, da küsse ich ihn einfach!“ seelisch und geistig auf das nächste Aufeinandertreffen vor. Ich spreche mir Mut zu, fühle mich wie Donald Duck, wenn er aufgeplustert, voller Elan und Tatendrang quakend in die Situation springt, um Daisy zu erobern. Dieses Gefühl währt jedoch nicht lange.
Der kleine Feigling in mir findet während jedem Treffen eine neue Ausrede es nicht zu tun: Der Ort war unpassend, die Situation hat nicht gepasst, der Zeitpunkt ist nicht der richtige – egal was es ist, ich finde einen Grund es nicht zu tun. Ich Angsthase. Im Zick-Zack hoppele ich davon. Wobei man mein Tempo eigentlich schon als „galoppierend“ bezeichnen könnte.
Ich mache mir etwas vor. Das Gedankenkarussell startet: Wovor habe ich denn Angst? Vielleicht vor der Reaktion? Davor, dass ich mich blamieren könnte? Weshalb eigentlich blamieren? Was wäre, wenn ich mich einfach dem Liebevollen zuwende?
Ich habe das Gefühl, als würde dieser Teenager in mir vermutlich nie erwachsen werden.
Mit ruhiger Stimme versuche ich meinen Mut wieder aus dem Keller zu holen. Wieso male ich mir den schlimmsten Fall, der eintreten könnte, aus? Wie wäre es sich selbst mehr Mut und Größe zuzusprechen und sich zur Abwechslung mal den schönsten Fall, der eintreten könnte, vorzustellen? Schon mal daran gedacht, dass es deinem gegenüber ähnlich gehen könnte? Oder vielleicht einmal in Erwägung gezogen, gar nicht zu denken, sondern einfach mal zu tun?
Einfach nur tun, den Moment genießen und sich neugierig in das Abenteuer begeben.
Damit nimmt die Erwachsene den Teenager in mir bei der Hand und spricht ihm (oder eigentlich mir) Mut zu: „Alles wird gut, trau dir einfach mehr zu!“ Ich lächle und fühle mich befreit.
Das schwere Gefühl in meiner Brust verschwindet, Ruhe und Mut breiten sich stattdessen aus. Mit fester Überzeugung fasse ich einen Entschluss. Und dieser Entschluss fühl sich gut an – vielmehr noch: Er fühlt sich richtig an.
Meine Mauer bröckelt, ich fühle mich gestärkt, mutig und zuversichtlich: Das nächste Mal mache ich es wirklich. Ich küsse ihn einfach!
© Isabella Tatjana Altmann 2021-08-11