Wenn Marmelade keine Kraft gäbe

PoeSy

von PoeSy

Story

Meine liebe Mama war eine kluge und sehr starke Frau, die bereits in ihrer Kindheit erfahren hatte, dass das Leben ganz schön hart sein kann. Als Kind den 2. Weltkrieg, als junge Frau die schwierigen Nachkriegsjahre miterlebt – ließen nicht nur, aber wohl auch diese Erfahrungen sie noch stärker werden!

Als zweitälteste von 4 Geschwistern musste sie am elterlichen Hof vor allem eines: arbeiten! Ihr älterer Bruder ging stets mutig voran, sie lief hinterher und machte das, was er anordnete. Die beiden waren wir ein “Pferdegespann”, so formulierte sie es selbst immer wieder. Sie waren gut in der Schule, daher hatten sie mehr Zeit, um zu Hause mitzuhelfen. In dieser Generation war es durchaus üblich, dass Kinder ihre eigenen Aufgabenbereiche hatten. Die Hauptaufgabe meiner Mutter war die Betreuung des Pferdes, das damals den Traktor ersetzte und daher unverzichtbar für die Landwirtschaft war. Opa war ein gefragter Mann für Holztransporte mit dem Pferd. Er war erfahren, gefällte Bäume vom Bergwald ins Tal zu bringen, das war nicht ganz ungefährlich, brachte aber ein Zusatzeinkommen. Pferd und Bauer waren ein Team, in dem sich einer auf den anderen 100%ig verlassen konnte. Nicht verwunderlich also, dass dieses Pferd für Opa so wichtig war. Er vertraute es nur seiner Tochter an, weil er wusste, dass er sich auch auf sie absolut verlassen konnte. Oft ging Mama mit ihrem Vater auf den Berg, um beim Holztransport zu helfen. Sehr früh wurde Mama also Pflichtbewusstsein beigebracht, und so wurde sie auch geprägt.

Uns Kindern hat sie vorgelebt und beigebracht, dass es Pflichten zu erfüllen gilt, trotzdem es Spiel und Spaß im Leben gibt. Sie hat Berufstätigkeit und Familie geschafft, uns ihre Liebe geschenkt und war immer für uns da! Nachts, wenn eines ihrer Kinder spät heimgekommen war, stand sie auf und wusste sofort, ob es Probleme gab. Ich erinnere mich an die eine oder andere nächtliche Diskussion! „Wär´ doch gelacht, wenn Marmelade keine Kraft gäbe!“, war stets ihre Motivation, um Hürden zu überwinden. Dass wir Kinder auch unsere Aufgaben hatten, deren Erledigung sie streng überwachte, schadete uns keineswegs. Wir lernten, dass das Leben nicht nur aus Spaß und Freizeit besteht. Unsere Familie hat sehr gut funktioniert, wir haben immer miteinander geredet und Familienrituale gepflegt.

Mama musste aushalten, dass Papa an Krebs erkrankte, da war mein Bruder in der Pubertät und ich im Kindergarten. Mama “steuerte” die Familie auch durch diese Zeit. Oft fragte ich mich, woher sie die Kraft genommen hatte. Humor und “Marmelade” haben wahrscheinlich auch geholfen! Als Papa viel später starb, stand sie kurz vor ihrer Pensionierung. Sie hatte sich um alle gekümmert, Papa bis zum Tod begleitet, nun wollte sie selbst einmal ein bisschen „leben“. Sie erfüllte sich den Traum, in ihre Heimat zurückzukehren und ihren Lebensabend dort zu genießen. Schön, dass sie das noch viele Jahre erleben durfte – und fein, dass ich ihre Gene geerbt habe…

© PoeSy 2022-09-16