Ich glaube an die Liebe auf den ersten Blick, den Moment, wenn ein Blick in die Augen des anderen dich förmlich elektrisiert, dich wärmt, dein Herz höher schlagen lässt und an das Knistern, wenn man sich berührt, die Spannung in der Luft, den Moment, wenn du jemanden das erste Mal tief in die Augen blickst und dabei das Gefühl hast, diesen Menschen schon ein Leben lang zu kennen, obwohl man sich erst begegnet ist.
Und dann passierte es mir. Von einer Sekunde zur anderen wurde mir förmlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Mit Mitte 20. Darauf war ich nicht vorbereitet.
Ich hatte eigentlich andere Pläne: Mich nämlich nicht zu verlieben. Von der Liebe hatte ich die Nase voll, wollte einfach nur für mich sein und meinen neuen Lebensabschnitt mit neuer Wohnung, Freiheit und mehr Zeit für mich, feiern. Da ich zuletzt als Teenager das Singledasein genoss, stand ganz oben auf meiner Liste eben jenes auch als Erwachsene zu genießen; in Ruhe erwachsen zu werden, mich (wieder-)zu finden, mich (neu) zu entdecken – und keinen Mann kennenzulernen.
Und dann kam er. Mit ihm kamen all die Unsicherheiten, die typischen Fragen, auf welche man sich in Ratgebern die Antworten erhofft. Antworten, die man am besten aus eigener Erfahrung zieht, welche jedoch fehlte – oder bereits vergessen schien. Wer meldet sich wann, wie und wie oft? Was ziehe ich bloß zu einer Verabredung an? Mein Kopf fühlt sich schwer an während mein Herz liebestrunken eine Party feierte.
Meine Pläne, mich nicht zu verlieben und in Ruhe erwachsen zu werden, wurden durchkreuzt – und ich fühlte mich wieder wie ein Teenager, mit allen Höhen und Tiefen. Fühlte mich hilflos, unerfahren. Wie ein kleines Kind, das seine ersten Gehversuche meistert.
Was ich damals nicht erkannte: Ich wurde erwachsen. Er und ich, wir haben uns gegenseitig gefordert, gefördert, einander vermisst, geschmachtet, beinahe unsere Herzen für einander geöffnet, erneut Mauern aufgebaut – und wurden gemeinsam erwachsen. Wenn ich an diese turbulente Zeit, die Höhen und Tiefen, die schönen Erinnerungen und auch an meine Tränen zurückdenke, möchte ich diese Erfahrungen nicht missen. Vieles konnte ich in dieser Zeit lernen. Lernte mich besser kennen. Konnte zwar nicht in Ruhe, aber zumindest inmitten eines (Gefühls-)Chaos erwachsen werden und entdeckte mich neu. Jede Entscheidung, die ich oder er getroffen haben, und jene, die keiner von uns getroffen hatte, ließen mich reifen und haben mich in meiner Entwicklung unterstützt.
Ab und zu ertappe ich mich, wie ich an ihn denke und an diese Zeit, die wir zwar gemeinsam aber nicht zusammen erlebt haben. Ich lächle und lasse einige der Erinnerungen nochmals Revue passieren, denke an die verpassten Gelegenheiten und stelle mir die Frage: Was wäre, wenn wir einfach mutiger gewesen wären? Was wäre, wenn ich ihn einfach geküsst hätte?
© Isabella Tatjana Altmann 2021-08-11