Als ich, früh wie immer, aufstand, war es sehr kühl für Ende August. Der Abend zuvor hatte ein heftiges Gewitter gebracht, Regengüsse waren niedergegangen, und daher rührte der dichte Nebel, der jetzt in grauweißen Streifen zwischen den Waldstücken lag, die sich, in schmalen Schichten hintereinander gesetzt, bis an den fernen Horizont erstrecken. Verbläuung nennt man das in der Malerei, was man hier deutlich sah, denn man hat den Eindruck, dass alle anderen Farben sich nach hinten immer mehr zu einem zuerst dunklen und dann helleren Graublau wandeln.
Fröstelnd öffnete ich das Fenster und stellte fest, dass es gut gewesen war, dass ich im letzten Moment noch eine wärmere Jacke zu den dünnen Sommerkleidchen in den Koffer gestopft hatte. Ich genoss den Blick über die Morgenruhe, obwohl diese gar nicht so ruhig war, wie man erwarten hätte können, denn der Straßenverkehr des weitläufigen Tales, das man als gelernter Österreicher gar nicht als solches bezeichnet hätte, machte sich aufgrund der Lage des Hotels an einem Berghang als stetiges Rauschen bemerkbar. Ich kenne das Phänomen aus unserem Garten, wo man die Geräusche oben am Hang oft lauter hört als unten an der Straße.
Später ging ich über eine breite, teppichbedeckte Holztreppe hinunter in die düstere, mit dunklem Holz getäfelte Halle und weiter in den Speisesaal, an den sich eine hohe Glasveranda mit Korbmöbeln anschloss. Von den alten, hohen Bäumen sah man noch das Wasser tropfen. Das Haus, das sich jetzt “Schlosshotel” nennt, ist eine vor mehr als hundert Jahren erbaute Villa oder eher noch ein kleines Schlösschen, denn es gibt auch einen runden Turm als unabdingbare Zutat zu jedem Schlossgebäude, etwas außerhalb und oberhalb einer kleinen Stadt gelegen, die heute Jelenia Góra heißt, aber einst als Hirschberg gegründet wurde, als hier jahrhundertelang Deutsch gesprochen wurde. Jeder Ort hier trug einst einen deutschen Namen, das Polnische kam erst nach dem Krieg, als man in der damals fast leeren Gegend Menschen vornehmlich aus dem Osten ansiedelte, die ihrerseits von dort vertrieben worden waren.
Das Hirschberger Tal, das heute keiner mehr kennt und wo man sich wirklich wie am Ende der Welt glaubt, hier in Niederschlesien in der südwestlichen Ecke Polens, war einst eine äußerst beliebte Erholungsgegend, in der internationales Publikum verkehrte. Es ist bekannt für seine besonders hohe Dichte an Schlössern und großen Villen, die aber allesamt recht versteckt in den weitläufigen Wäldern liegen, sodass man sie suchen muss. Nur wenige präsentieren sich auf den ersten Blick.
Als ich nach dem Frühstück auf die mit feinem, hellem Schotter bedeckte Terrasse hinter dem Gebäude hinausging, wurde ich auf einen breiten Ausschnitt in der Reihe der riesigen Bäume aufmerksam. Hier bot sich mir ein wunderbar freier Blick nach Süden hin und direkt auf die Schneekoppe an der polnisch-tschechischen Grenze, den höchsten Berg in der Umgebung, flach ansteigend und waldlos.
© 2022-09-04