von Franz Brunner
Ich liebe den bewussten, geschliffenen Umgang mit den Modalverben, so lassen sich feine Nuancen in der Befindlichkeit eines Menschen akzentuieren. Ich zum Beispiel, und da bin ich sicher kein Exot, mag viel lieber wollen dürfen als müssen müssen. Ja, man darf es mehrmals lesen und in Ruhe überdenken, aber es stimmt schon: Müssen verwende ich hier ganz bewusst zweimal. Die meisten kennen diese Gruppe von Wörtern unter dem Sammelbegriff „Hilfszeitwörter“, sechs Stück gibt es davon: dürfen, sollen, können, müssen, wollen und mögen. Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit und wie wir damit traktiert wurden? Auch der Ehestand, ach was, jede zwischenmenschliche Beziehung, jede verbale Kommunikation ist gespickt mit Auffassungsunterschieden, nicht selten verursacht durch unbedachten Einsatz der Modalverben.
Dieses Buch war ein Weihnachtsgeschenk und gleichzeitig ein schwerer taktischer Fehler meiner Liebsten. „Einen Scheiß muss ich“. Verzeihung, aber das ist der Originaltitel, er entspricht normalerweise nicht meiner Art, mich zu artikulieren, doch zumindest einmal muss er ohne Zensur genannt werden. Bei der Wahl des Titels hatte meine Universaltherapeutin kein Mitspracherecht, sonst hätte sie ihn todsicher zensuriert. Von der Grundtendenz her entsprach er allerdings unser beider aktuellen Empfindlichkeit: Öfter NEIN sagen, nichts müssen, lieber wollen, weniger Fremdbestimmung, viel Freude am Tun, mehr Selbstverantwortung und Zugewinn an Lebensqualität.
Schon vor Jahren hatten wir unsere Freude an den Büchern von Tommy Jaud und seiner Art, Menschen und deren seltsames Tun zu beschreiben. Besonderen Spaß hatten wir dabei an „Hummeldumm“, worin er die Erlebnisse eines bunt zusammengewürfelten Häufchens bei einer Reise durch Südafrika schildert. Der besondere Reiz dieses Buches bestand darin, dass wir beide bisher nur im 2er-Pack verreisten und uns erstmals für eine Gruppenreise entschieden hatten. Zusammengefasst ein einzigartiges, launiges Leseabenteuer.
Doch zurück zum philosophischen Exkurs von Tommy Jaud, zur Sache mit den Modalverben. Zu Beginn übte ich die angestrebte Verhaltensänderung nur im heimischen Haushalt, sehr zum Leidwesen meines Haushaltsvorstandes. „Du musst den Mistkübel raustragen!“ Antwort? Buchtitel. „Du musst wieder einmal zur Vorsorgeuntersuchung!“ Antwort? Buchtitel. „Du musst deine Schwiegermutter zum Muttertag anrufen!“ Antwort? Klar, Sie ahnen es, oder?
Mittlerweile hat meine Liebste das Buch versteckt, verschenkt oder im schlimmsten Fall sogar verbrannt, hilft aber nichts, denn ich habe es aufmerksam gelesen, es wurde Teil meines Seins und der Titel ist ohnehin unauslöschlich verankert.
Um des Hausfriedens willen verzichte ich neuerdings aufs Zitieren desselben und quittiere Arbeitsaufträge stets wie folgt: „Du musst wieder einmal Staubsaugen!“ „Natürlich, sehr gerne, Liebling!“ Glauben Sie’s mir, das hebt die Stimmung ungemein.
© Franz Brunner 2022-04-26