von ResaCardie
In den folgenden Tagen verließ Stephanie kaum noch das Haus. Mied andere Leute und fasste selbst Tobias und Emma kaum noch an. Sie sah sich der absurden Aufgabe, die ihr so grundlos gegeben worden war weiterhin nicht gewachsen. Wie könnte sie auch. Sie war keine Mörderin. Gelegentlich hatte sie vielleicht schon einmal daran gedacht jemandem eine Ohrfeige zu verpassen, aber ein Leben beenden, jemandem einfach so alles zu nehmen, das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Da würde sie sich lieber unter der Last auf ihren Schultern zerdrücken lassen. Aber wie lange konnte sie sich noch zu Hause verstecken. Tobias und selbst Emma hatten schon bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Sie machten sich Sorgen. Stephanie sah nur einen Ausweg, sie musst ihre Familie verlassen. So konnte sie die beiden Menschen, die ihr am meisten bedeuteten vielleicht beschützen. Aber sie musst es schnell tun oder sie würde es nicht übers Herz bringen. Noch in der gleichen Nacht packte sie eine Tasche und schrieb Tobias einen Brief. Es war eine lächerliche Ausrede. Er würde sie nicht glauben. Aber es war besser er würde wütend auf sie sein. Sie hassen. Stephanie drehte ihren Ehering traurig hin und her, bevor sie ihn abnahm und mit dem Brief auf den Nachttisch ihres Mannes legte. Sie wollte ihm die Haare hinter das Ohr streichen. Wollte ihn küssen und noch einmal in den Arm nehmen, aber das konnte sie nicht. Stattdessen schlich sie auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und auf die gegenüberliegende Tür im Gang zu. Emma. Wie konnte sie nur ihr kleines Mädchen allein lassen. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihre Hände zitterten. Es brauchte nur einen leichten Schubs und die Tür schwang auf. Emma schlief tief und fest. Ihre dunklen Locken hingen ihr wie immer zerzaust ins Gesicht. Über sie gebeugt ein schwarzer Mantel mit Hut. Seine skelettartigen Finger tanzten über die Bettkante, Emmas kleines Ärmchen nur wenige Zentimeter entfernt. „Nein!“ Zischte Stephanie ihn an. Seine Augen glühten golden im Schein des Nachtlichts neben dem Bettchen. Als er zu Stephanie aufblickte konnte sie ganz deutlich die schwarzen Hörner sehen.“Ich dachte wirklich nach unserem letzten Gespräch hättest du die Wichtigkeit unserer Aufgabe verstanden Geißlein. Aber ich muss wohl andere Saiten aufziehen.“ „Fass. Sie. Nicht. An.“ Presste Stephanie zwischen knirschenden Zähnen hervor. „Gnade dir Gott, wenn ihr etwas passiert.“ Der Bock grinste wie eine dämonischer Wasserspeier. „Gott?! Es gibt keinen Gott. Es gibt nur geboren werden und sterben. Das was du Leben nennst ist reiner Zufall. Es verändert nichts. Das Gleichgewicht, das ist es was zählt. Ohne Gleichgewicht gerät alles aus den Fugen und von deinem wertvollen Leben bleibt nichts, aber rein gar nichts übrig.“ Er richtete sich auf und ging um das Bett auf Stephanie zu. Packte sie fest am Kinn und zog ihr Gesicht nahe an das seine heran. „Du strapazierst meine Geduld, Geiß. Das war deine letzte Warnung. Wenn du deiner Aufgabe nicht nachkommst wird dein kleines Mädchen nur die erste deiner Lieben sein, die von der Waagschale fällt.“ Damit ließ er sie stehen und verschwand in die Finsternis der Nacht. Stephanie’s Knie gaben nach und sie fiel schluchzend zu Boden. Ihr Körper zitterte, ihre Augen quollen über und aus ihrer Kehle drangen gurgelnde Schmerzensschreie. Sie bemerkte weder wie Emma sie umarmte, noch wie Tobias sie ins Bett trug und beide bei ihr blieben bis sie erschöpft einschlief.
© ResaCardie 2023-08-31