von LucianX
Der Anschlag in Wien ist zwei Tage her. Ein feiger Mörder rannte mit einer AK47 herum und erschoss wahllos Menschen. Toll. Für irgendwelche hehren Ziele. Glaube ich nicht. Er wird in der Hölle schmoren für das, was er in Wien angerichtet hat. Und wir lassen uns durch so einen Verrückten nicht aus der Bahn werfen. Das Jahr ist mit Corona-Lockdowns, Kriegen und all den Naturkatastrophen sowieso schlimm genug. Während wir auf das Ergebnis der amerikanischen Präsidentenwahl warten, werden Kerze für Kerze, Kranz für Kranz, immer mehr Zeichen der Trauer an allen Tatorten abgelegt. Die Menschen verharren still und betroffen vor den vielen Lichtern und Textbotschaften, die in der Seitenstettengasse, Ruprechtsplatz, Judengasse, Fleischmarkt, Bauernmarkt, Schwedenplatz und anderen Orten abgelegt wurden. Besonders fällt dabei ein Zettel auf – er trägt die Aufschrift „Schleich Di, Oaschloch!“.
Wer es nicht weiß, könnte verstört darauf reagieren. Doch fielen gerade diese Worte in einem der vielen unzensierten Videos in der Tatnacht. Auf einem dieser Videos sah man den Attentäter ziellos herumstreunen, während der Handyfilmer von seinem Balkon etwas wie „Oaschloch“ und „Motherfucker“ rief. Extrem mutig, wenn man bedenkt, dass der Attentäter sich einfach nur umdrehen und ihn erschießen hätte können. Aber nicht nur mutig, sondern auch der Versuch, die Situation und den Verrückten mehr als nur komplett au’grennt zu bezeichnen. Kurz nach Ausstrahlung der Szenen entstand bald ein Meme, das sich mit dem Hashtag #SchleichDiOaschloch im Internet wie ein Lauffeuer verbreitete. Das war die authentische und stirnbietende Antwort eines Wieners zum Terroristen. Die Verurteilung des Mörders und seiner Taten auf den Punkt gebracht. Wenngleich das Zitat wohl nicht tatsachengetreu wiedergegeben wurde, war es gleichsam treffend, wie die verzweifelte Aktion beim Amoklauf in München, als ein Anrainer dem Attentäter wütend schreiend eine Bierflasche nachwarf. Doch wer war der Mann, von dem dieser Ausspruch stammte?
Ich stand vor einer Tür nahe der Synogoge und ein älterer Herr mit schlecht gelauntem Blick öffnete die Tür auf. „San Sie von de News? Kane Interviews!“ Ich sagte, dass auch ich Wiener sei und seinen Spruch in dieser Extrem-Situation „ur leiwand“ fand. Er murmelte etwas wie „Trotteln und Oaschlöcher“ und „hoffentlich kommt kan Medienfuzzi mehr her, anzig wü i mei Ruah!“ und schon stand ich wieder alleine vor der zugeworfenen Türe mitten im Bermudadreieck. Und die Moral von der Geschichte? Ja, er war auch ein Held dieser Nacht. Aber für all diejenigen, die ihre Liebsten verloren haben oder schwer verletzt wurden, ist es nicht leicht, nein, ganz, ganz schwer. Und für mich als einen, der nur zufällig nicht vor Ort war, weil ich einfach nur Glück hatte, noch schwieriger, diese Situation in Worten zu beschreiben. Statt jetzt #SchleichDiOaschloch bin ich für #Zusammenleben, #NieWieder und #WienBleibtWien.
© LucianX 2020-11-06