Wer schrieb “Capri-Fischer”?

Story

„Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt, zieh’n die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus…“ Spätestens beim Refrain stimmen alle mit ein: „Bella, bella, bella Marie, bleib mir treu, ich komm zurück morgen früh, bella, bella Marie, vergiss mich nie…“

Bis vor Corona konnte sich die kleine italienische Insel vor Touristen nicht erwehren. Nicht ganz unschuldig an der Entwicklung war Ralph Maria Siegel. Am 8. Juni 1911 in München als Sohn des Komponisten Rudolf Siegel geboren, ging er mit 16 Jahren zum Geigen- und Klavierstudium nach Rom und Florenz, wo seine italienische Großmutter lebte. Bald gründete er eine eigene Tanzkapelle und schrieb erste Kompositionen. Als Siegel den Komponisten Gerhard Winkler traf, wechselte er die Seite, wurde Schlagertexter und verwendete das Namenskürzel RMS. Die Studienjahre in Italien machten sich nun bezahlt. Er bezauberte seine Landsleute mit Liedern wie „O mia bella Napoli“ (1937) „Ja, ja, der Chianti-Wein“ (1940) und „Capri-Fischer“ (1943). Als die Italiener den Deutschen den Krieg erklärten, war aber leider Schluss mit Vino und romantisch-verklärten Sonnenuntergängen im Feindesland. Aus dem Chianti wurde ein Tiroler Wein und über die Capri-Fischer ein Rundfunk-Boykott verhängt. Das Duo Winkler/Siegel musste deshalb bis nach Kriegsende auf den Erfolg warten.

Dann aber verbreitete sich das Sehnsuchtslied aus wie ein Flächenbrand. Winkler und Siegel hatten den Nerv der Zeit getroffen. Die Aufnahmen mit Rudi Schuricke und Vico Torriani erreichten in den 1950er Jahren Rekordumsätze in Millionenhöhe und verhalfen Capri zu einer Gratis-Tourismuswerbung erster Güte. Plötzlich waren die Deutschen reif für die Insel. Mode und Industrie sprangen ebenfalls auf den Zug auf. Man denke nur an die Capri-Hose, den Ford Capri und Capri-Sonne in Trinktüten.

1942 heiratete Siegel die Operetten-Diva Ingeborg Döderlin, genannt „Sternchen“. Sohn Ralph, der drei Jahre später zur Welt kam, erbte das kompositorische Talent seines Vaters. Mit dem Lied „Ein bisschen Frieden“, gesungen von Nicole, sollte er 1982 Deutschland zum Grand-Prix-Sieg verhelfen. Siegel sen., der auch Musikverleger und Plattenproduzent war, schrieb über 2500 Lieder. In den 1950er und 1960er-Jahren war es in Mode, internationale Erfolgsschlager ins Deutsche zu übertragen. Und so sang Connie Francis dank Siegel „Die Liebe ist ein seltsames Spiel,“ Dalida „Komm zurück“ („J’attendrais“) und Edith Piaf „Schau mich bitte nicht so an“ („La vie en rose“). Doch mit dem Aufkommen der Beat-Musik Anfang der 1960er Jahre war die große Zeit des gefeierten Schlagertexters vorbei.

Ralph Maria Siegel war ein Arbeitstier, “eine Kerze, die an beiden Enden brannte,” wie es sein Sohn Ralph formulierte. Im Juli 1972 kam der Zusammenbruch. In einem Münchner Krankenhaus starb er am 2. August 1972 an einem Organversagen.

© 2020-11-24

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