von Sonja M. Winkler
Sonntag, 14 Uhr: Es brennen alle vier Kerzen des Adventgestecks. Ich nippe an einer Tasse Kaffee und verliere mich im Schein der unruhig flackernden Flammen. Da überfällt mich ein eigenartiges Gefühl. Könnte es sein, dass der Verkäufer im Juwelierladen des Auhofcenters gemogelt hat, mich mit Absicht getäuscht und auf gut Deutsch: beschissen hat?
Rückblende:
Samstag, 15 Uhr. Ich parke vor dem Haus meiner Bauchtanz-Freundin, die gerade eine schwere Zeit durchmacht. Da fällt mir auf, dass meine Uhr am Handgelenk und die im Armaturenbrett unterschiedlich ticken. Meine Armbanduhr ist um 13.27 stehengeblieben. Wahrscheinlich muss die Batterie gewechselt werden, denke ich und nehme mir das für einen der nächsten Tage vor.
Sonntag, später Vormittag: Nach dem Besuch des Waldviertler Marktes am Fuße des Roten Berges verstaue ich Mohnzelten und köstliches Apfelbrot im Kofferraum. Die Runde im Lainzer Tiergarten fällt wegen des eisigen Windes kürzer aus als üblich. Ich setze mich ins Auto und fahre zum Auhofcenter.
Gegen 12.45 Uhr steuere ich auf den Juwelierladen zu, in dem ich die Uhr vor etwa 4 Jahren gekauft habe, eine schlicht-elegante Cluse mit beigem Uhrband.
Der Verkäufer, der sich mir nähert, ist von geringer Größe. Er erinnert mich an Hans Moser, der auch keine einssechzig war. Aber er nuschelt nicht. Er spricht gepflegtes Deutsch wie jemand, der mit einer bestimmten Art von Kundschaft umzugehen weiß. Er trägt Anzug und Krawatte. Ich bin in Wanderkleidung und die einzige Kundin im Shop. Ich überreiche ihm die Uhr. Haben Sie noch einen Weg, fragt er mich. – Nein, ich warte. – Wissen Sie eh, dass das Glas einen winzigen Kratzer hat. – Ja, antworte ich, ich bin einmal gestolpert. – Nur damit Sie nicht sagen, der Kratzer wäre hier passiert.
Er hantiert an der Uhr. Die Batterie sei in Ordnung, höre ich. Sehen Sie! Der Zeiger am Gerät, mit dem er die Batterie prüft, schlägt aus. Die Uhr ist leider kaputt, meint er und klebt den Deckel behelfsmäßig mit Tixo an. Kurz und gut, ein neuer Chronometer muss her. Ich entschließe mich für den billigsten im Laden, eine blaue Swatch um 65 €, mit Datumsangabe. Es ist 12.57.
Nachdem der heimelige Kerzenschein im Wohnzimmer ein Gefühl der Skepsis in mir entfacht hat, mache ich mich um 14.50 auf den Weg zu einem Schmuck- und Uhrengeschäft in Wohnnähe. Der Angestellte, ein freundlicher Mann mittleren Alters, kletzelt den Tixo von der Cluse und verschwindet im Hinterzimmer. Als er mir die Uhr überreicht, sagt er, Sie haben die Batterie vor zwei Jahren bei uns wechseln lassen. Er stellt die Zeit ein. Es ist 15.07.
Als ich ihm von der Fehleinschätzung des Zwerges berichte, meint er, ärgern Sie sich nicht! Der Mann kann Sie mit Absicht hineingelegt haben, oder er hat sich geirrt, weil ihm die Fachkenntnisse fehlen. Viele Juweliere leisten sich keinen gelernten Uhrmacher mehr, wie er selbst noch einer sei.
Und was sagt mir die Geschicht‘? Wenn Zweifel sich regen, übergeh‘ sie nur nicht!
© Sonja M. Winkler 2021-12-20