Es war ein Tag wie der gestrige oder der morgige oder irgend ein anderer Tag. Will sagen, einfach ein normaler Tag. Voll gepackt mit Meetings, E-Mails lesen und zwischendrin schnell mal einen Kaffee holen. Routine nennt man das wohl.
Also Kaffee holen. Das war bei uns bei T-Mobile International recht angenehm, derweil unsere „Kaffee-Station“ eben keine lieblose Kaffee-Küche war, sondern Starbucks. Ich lief also zwei Stockwerke im Treppenhaus nach unten in die Lobby zu Starbucks. Schnell, schnell, nächste Meeting wartet schon. Mit dem Kaffee wieder ins Treppenhaus, Lift nach oben wäre zwar bequemer aber der ließ mal wieder länger auf sich warten.
Schnell zwischen dem letzten und dem nächsten Meeting die Treppen hoch hechten. Und dann das: mein CEO stand plötzlich vor mir, ich in Gedanken vor mich hin stierend, er wie meist freundlich, locker lächelnd. Ich wollte kurz nett grüßen – aber er hatte wohl anderes im Sinn. „Sag mal Reinhard, ich wollte dich mal kurz was fragen…“ eröffnete er die Begrüßung. Natürlich, klar, CEO fragt freundlich, also locker bleiben, offen wir das Gespräch obwohl das nächste Meeting wartet. Aber hier begegnet mir gerade die personifizierte Priorität schlichthin in einem Konzern. „Hallo, na klar, was gibt´s?“ antwortete ich, was irgendwie aber nicht so lässig rüber kam wie seine Frage. In Gedanken ärgerte ich mich noch darüber, dass mein CEO immer wieder lockerer und entspannter wirkte als ich, obwohl er doch sicher eine weitaus engere Taktung haben sollte (Wie macht der das nur…?), da kam die Frage die mich wie ein Blitz traf: „Also stell dir mal vor, uns würde es morgen nicht mehr geben, würde uns dann einer vermissen?“ WOW! Blitz-Einschlag! Schockstarre! In meinem Kopf ging es zu wie auf einer Achterbahn. Was soll denn nur wieder diese Frage? Meint er das ernst? Was soll ich denn dazu antworten? Jetzt kein Fehler machen. Schmeichelst du mit „natürlich würde man uns vermissen“, denkt er „Schleim-scheißer, davon habe ich genug. Zudem, hey, wir haben echt verdammt viele Probleme gerade mit Kundenloyalität“. Oder sag ich „Nö, warum sollte uns einer vermissen, sind dann halt mal weg“, dann würde ich mich um Kopf und Kragen reden, zwar ehrlich aber ab morgen ohne Job. Was tun? Also stammelte ich etwas von „Nun ja, also, ehrlich? Also, ich denke…wenn man das mal drastisch sieht…also…NÖ!“ Oh Mann – was hast du getan? Du Depp! Was passiert jetzt? Nett dezenter Hinweis, wo ich nun die Tür zur Personalabteilung finde? Nichts dergleichen. Mein CEO strahlte mich an! „Ja, denke ich auch. Und Reinhard, daran sollten wir arbeiten. Jeden verdammten Tag! Denn nur das was man liebt, wird man vermissen, wenn es nicht mehr da ist.“
Damit war mein Auftrag für die nächsten Monate klar beschrieben. Klarer, eindeutiger und prägnanter als jede Job- oder Rollenbeschreibung.
© Reinhard Plückthun 2019-10-06