Wertvoll

Margot Lamers-Zigan

von Margot Lamers-Zigan

Story

Unterwegs passiere ich einen Aufsteller auf dem Gehweg. Das Schild trägt die Aufschrift „SchĂĽtzen Sie Ihre Werte“. Das finde ich lustig, denn diese Aufforderung kann unterschiedlich verstanden werden. In diesem Fall ist angesichts des Geldinstituts, vor dem die Werbung platziert worden ist, vermutlich von dem Erhalt von Eigentum wie Geld, Gold, Immobilien, Aktien etc. die Rede. Wert-Papiere. Auf meinem eigenen Wertpapier stehen die Worte Liebe, Frieden und Wahrheit ganz oben. Klingt naiv, isses aber nicht. Diese Werte will ich schĂĽtzen, indem ich in mich investiere, ohne aus anderen Profit zu schlagen. Ein spendables Sparschwein. Mein Eigentum schĂĽtze ich nicht nur, ich gebe auch ab. „Reich werden kommt von behalten“ ist das Motto Andersdenkender. Nichts gegen Sparsamkeit, es ist vernĂĽnftig und vorausschauend, sich Sicherheiten zu verschaffen. Die Zeiten werden rauer und kälter, die Schere immer größer. Fasziniert bewundere ich die ausgestellten Angebote der exklusiven Immobilienmakler. „Charmantes Juwel“ fĂĽr zwei Millionen. „Idyllisches Anwesen“ bereits fĂĽr eine schlappe Mio. „Geräumiges Loft im Herzen der City“ ein paar hundert Mille. Hin und wieder entdecke ich zwischen repräsentativen Villen, luxuriösen Ferienbungalows und imposanten Penthousewohnungen ein kleines Kellerloch oder eine schräge Dachgeschosswohnung. Verzeihung, exquisites Souterrain und Maisonette mit Alleinstellungsmerkmal. Hervorragend geeignet fĂĽr Studenten. Wenn sie aus wohlhabendem Hause kommen. FĂĽr die anderen tragen die realisierbaren Projekte eher Titel wie „SchmuckstĂĽck fĂĽr ambitionierte Bastler“ oder „Historisches Kleinod mit Potential“. Nicht falsch verstehen, ich bin nicht neidisch, beziehungsweise, seien wir ehrlich, in gesundem MaĂźe. Doch die anhaltende Preisexplosion auf dem Immobilienmarkt nervt. Dazwischen verteilen sich in regelmäßigen Abständen Bettler ĂĽber die gesamte EinkaufsstraĂźe. Postieren sich vorwiegend vor Supermärkten, da diese den größten Zulauf haben. Die Mobilen klappern die CafĂ©s ab oder sprechen wahllos Passanten an. Vor dem MaklerbĂĽro und den schicken Boutiquen sitzt oder steht keiner von ihnen. Werden sie vertrieben oder versprechen sie sich, ebenfalls unternehmerisch denkend, hier weniger Erfolg hinsichtlich Spendeneinnahmen? Wird vor dem Aldi mehr gespendet als vor dem Beautysalon? Mann und ich kaufen in der Filiale einer bekannten Supermarktkette ein. Hier waren wir lange nicht mehr. Zu teuer. Die gut sortierte Nahrungsmittelapotheke haben wir ĂĽberwiegend durch Discounter ersetzt und nur fĂĽr ExtrawĂĽnsche aufgesucht. Bereits bei Betreten des Geschäftes stelle ich eine Veränderung fest: Gähnende Leere. Nicht in den Regalen – in den Fluren und an den Kassen. Y kommt uns entgegen, der gesprächige und kultivierte Verkäufer aus der Wein- und Spirituosenabteilung, mit dem wir hin und wieder ein Pläuschchen gehalten haben. Er bestätigt meinen Verdacht, dass Kaufkraft und Kundenzahl arg nachgelassen haben. Seine etwas flapsig vorgetragene BegrĂĽndung ist ĂĽberraschend: Es läge am Geiz der Kundschaft. Während Y sich weiter ĂĽber die kniepigen Kunden echauffiert, werfe ich kommentarlos ausschlieĂźlich Produkte der preiswerten Hausmarke „Ok und Billig“ in den Wagen. Weil wir Y mögen, ohne seine Ansichten zu teilen, investieren wir noch groĂźzĂĽgig in eine Flasche Wein. Bei weitem nicht in den teuersten, jedoch auch nicht den Essig von den Geissens. Segensspruch Ende Januar: SchĂĽtzen Sie Ihre Werte!

© Margot Lamers-Zigan 2024-01-23

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Informativ, Reflektierend
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