Wenige Minuten später tauchte Frau Patzschke am Ort des Geschehens auf. Sie und ihr Lebensgefährte waren wegen starken Nebels und kilometerlanger Staus weit nach Mitternacht in Straubing angelangt, standen beim Seethaler vor verschlossenen Türen, fanden schließlich ein Hotel, das ihnen Unterschlupf gewährte. Vielleicht hätte sich die Aufstellung noch ändern lassen, abgesehen von den damit verbunden gewesenen Laufereien und Verhandlungen war keinesfalls sicher, ob Cornelia angesichts des nächtlichen Stresses zu ihrer Normalform würde auflaufen können. In der Meisterklasse wurde in zwei Gruppen diktiert. Die Teilnehmer durften zwischen den Ansagern Stehling und Schwarzrock wählen. Der ab 10 Uhr angesagte Text strotzte vor Gruppenkürzungen („Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, „Nordatlantische Verteidigungsorganisation“), enthielt aber auch schwierigere Passagen, die schließlich die „Spreu vom Weizen“ sonderten.
Im Anschluss an das Wettschreiben unternahmen wir einen Stadtrundgang. In einem Café stärkten wir uns. Es hätte noch schöner sein können, wenn ich nicht so müde gewesen wäre. Mit dem Weg zur Siegerehrung war es wie mit dem zur Schule. Der Wirt meinte erneute, das könnten wir zu Fuß nicht schaffen. Es war ein kurzer, gemütlicher Spaziergang durch die hereinbrechende Nacht. Wir kamen an einem Briefkasten vorbei, wo wir die auf dem Markt gekauften, im Café geschriebenen Grußkarten einwarfen. Siegerehrung, verbunden mit einem kleinen Fest und einigen Darbietungen, u. a. Wettbewerb im Maßkrugstemmen, in der Gaststätte an der Trabrennbahn. Neben einer Reihe von Ehrengästen wurden mit besonderer Herzlichkeit Mannschaften des Österreichischen Stenografenverbandes begrüßt, die erstmals am Bundespokalschreiben teilnahmen. Nach den obligatorischen Grußworten gab der Vorsitzende des Deutschen Stenografenbundes, Gregor Keller, die Ergebnisse bekannt. Herr Kehrer hatte sich für die 1. Mannschaft bestenfalls Platz 2 hinter dem Norddeutschen Stenografenverband erhofft. So kam es auch, aber schon bei der Siegerehrung flüsterte ihm Herr Charlier ins Ohr, der Abstand zwischen beiden Mannschaften habe nur ganz wenige Punkte betragen. Als wir die Ergebnisliste in die Hand bekamen, stellte sich heraus, bei leicht geänderter Mannschaftsaufstellung, Austausch Herr Dr. Eichler/Frau Patzschke, wäre der Sieg erstmals an uns gegangen. Es zeugt von guter Moral innerhalb der Mannschaft, dass es keinerlei Vorwürfe wegen der missglückten Aufstellung gab. Als kleines Trostpflaster sei vermerkt, dass die Leistung Cornelia Patzschkes entscheidend dafür war, dass die 2. Mannschaft einen ausgezeichneten, nie erwarteten 6. Platz belegen konnte (teilweise nach „Der Stenolöwe“). Ich erreichte 220 Silben, 5 Fehlerpunkte, Note 2, 35. Platz.
Für das Sonntagsfrühstück hatte der Wirt am Vorabend eine Thermoskanne mit Kaffee und Zutaten bereitgestellt. Das Zimmer bezahlten wir Samstag. Anneliese streichelte dem Herrn über die Wange, sie hatte ihn beim Flunkern/Herausreden erwischt.
© Annemarie Baumgarten 2024-07-07