von Gabriela Rodler
1962 war der erste Sommer den wir als Familie gemeinsam verbrachten. Wanderungen und Ausflüge am Sonntag gehörten ebenso dazu wie einzelne Badetage am Neusiedler-See.
An einem sonnigen Tag fuhren wir nach Rust. Die Wettervorhersage warnte vor einem Wettersturz. Mein Vater war sich sicher, dass der Wetterumschwung erst bis zum Abend bei uns eintreffen würde. Wir borgten uns ein Ruderboot aus, das aus zwei Schwimmkörpern bestand, verbunden mit einem Lattenrost. Darauf zwei Bänke, eine für den Ruderer, die zweite zum Sitzen. An diesem Tag durfte eine Freundin von mir mitfahren. Bald war das Boot vollgepackt mit Badeutensilien. Vater hatte zu Hause zwei Holzlatten, die er mit einem alten Leintuch verband, vorbereitet. Er wollte den Wind damit ausnützen. Vorerst aber war es windstill, der See lag fast spiegelglatt vor uns. Unser Ziel war die Schotterinsel, die mitten im See lag. Den Namen trug sie zu Recht, denn dort war der See nicht schlammig, sondern schottrig. Nach einer halben Stunde eifrigen Ruderns erreichten wir die Insel.
Meine Freundin und ich planschten und schwammen in dem warmen Wasser und im Nu war es Zeit zum Mittagessen. Lachend und plaudernd verspeisten wir die mitgebrachten Brote, tranken warme Limonade. Plötzlich deutete meine Mutter ins Wasser und rief: „Da, schaut, Wellen. Jetzt kommt der Wind!“ Tatsächlich wurde der Wind innerhalb kürzester Zeit stärker. Wir packen zusammen und Vater montierte sein „Segel“ am Boot, mit einem Ruder steuerte er. Der Wind wurde zusehend stärker und wir fuhren mit geblähtem Leintuch, Richtung Mörbisch. Der Wetterumschwung war da! Der Himmel überzog sich mit dichten Wolken. Der Wind peitschte das Wasser auf, und immer mehr weiße Schaumkronen rollten über den See. In Mörbisch verstauten wir unser Segel. Das Boot banden wir an der Rückseite der Seebühne für eine letzte Rast fest. Wir aßen die letzten Brote und dann begann Vater Richtung Rust zu rudern. Doch nach kurzer Zeit stellten wir fest, wir kamen nicht vom Fleck. Wenn Vater einen Ruderschlag machte, trieb uns der Wind trotzdem weiter zurück.
Da blieb nur mehr ein Weg zurück nach Rust – schieben. Vater hüpfte ins Wasser und schob das Boot den Schilfgürtel entlang, zum Glück war der See nicht tief. Mutter hatte uns Mädel Badetücher umgehängt, da immer wieder Wasser heraufspritzte. Wir drei saßen dicht gedrängt auf der Bank. Das Wasser war jetzt wärmer als die abgekühlte Luft und der Wind blies uns kräftig um die Ohren. Bald ließen wir Mörbisch hinter uns und linker Hand sahen wir nur die grüne Schilfwand. Meine Mutter sorgte sich um meinen Vater und um uns Kinder. Nach über einer Stunde kamen endlich die ersten Seehütten von Rust in Sicht. Langsam zogen die Hütten linker Hand an uns vorbei und es dauerte nochmals mehr als eine Stunde bis wir nass und durchfroren endlich in der Ruster Bucht ankamen. Die letzten Meter ruderte Vater zum Steg und dann hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen.
© Gabriela Rodler 2021-06-09