Widerstand gegen Veränderung gibt es nicht

Niels Pfläging

von Niels Pfläging

Story

Der Mann, der den Veränderungs-Widerstand erfand, war Kurt Lewin (1890-1947). Lewin, der brillante Pionier der Sozialpsychologie und Gründer der Organisationsentwicklung, führte den Begriff des Widerstands als ein systemisches Konzept ein. Er verstand ihn nämlich als eine organisationale Kraft, die alle Akteure – Manager wie Mitarbeitende – gleichermaßen beeinflusst. Leider überdauerte zwar Lewins Terminologie die Zeit, nicht aber ihre Bedeutung: Heute betrachten wir Widerstand meist als ein psychologisches, individualisiertes Problem, als eine Art von Persönlichkeitsdefekt. Wir personifizieren Widerstand als “Widerstand der Leute gegen das Neue“, als „Mitarbeiter gegen Managerinnen“ oder als „unten versus oben“.

Dieser Vorstellung ist tragisch: Denn in diesem mentalen Modell sind immer ‘die Anderen‘ das Problem: Mitarbeiter ‘leisten Widerstand‘, das Top-Management ist ‘nicht ausreichend committed‘. Wir urteilen über andere, indem wir Dinge sagen wie: ‘Die haben ein Interesse daran, den Status Quo zu erhalten!‘ Das ‘Die‘ – die Anderen! – ist natürlich wichtig zur Abgrenzung. Die Widerstands-Unterstellung ist insgeheim eigentlich recht überheblich. Viel schlimmer jedoch: Solange wir dieses mentale Modell verwenden, vereitelt es ein besseres Verständnis der Dynamiken in Veränderung. Wir neigen dazu, die Dominanz von hierarchischer Weisung und Misstrauens-Organisation aufrecht zu erhalten. Besser wäre es, wir würden auf den Begriff des Widerstands völlig verzichten – und uns stattdessen hilfreicheren Vorstellungen von Veränderung zuzuwenden.

Versuchen wir das einmal: ‘Menschen leisten keinen Widerstand gegen Veränderung.‘

Schaffst du es, diesen Satz in deinem Kopf vor dir hin zu sagen? Das wäre ein Anfang! Aber wenn es stimmt, dass Menschen sich Veränderung nicht widersetzen, was steckt dann hinter den irritierenden Verhaltensweisen, die wir in Change-Bemühungen beobachten? Was passiert da, wenn es sich nicht um Veränderungswiderstand handeln soll?

Treten wir gedanklich einen Schritt zurück und wir bemerken, dass die Verhaltensweisen von Menschen in Organisationen im Zusammenhang mit Veränderung überwiegend bewusst und intelligent sind. Noch wichtiger: Sie beziehen sich auf andere Dinge als die Veränderung selbst. Menschen mögen z.B. dem Verlust an Status und formeller Macht widerstehen. Was für sich genommen intelligent ist. Sie mögen gegen Ungerechtigkeit, Idiotie und den Versuch, sie zu verändern, opponieren. Das ist ebenfalls intelligent.

Aus Veränderung kann auch ein Bedarf an Weiterentwicklung erwachsen, der möglicherweise nicht angemessen adressiert wird. Es sind diese Dinge, mit denen wir es im Change eigentlich zu tun haben: Machtstrukturen, Status, Ungerechtigkeit, Unachtsamkeit, Konsequenz(losigkeit), unsere eigene Idiotie, zentrale Weisung & Kontrolle, Lernen oder ein Mangel daran. Diese Themen erfordern gemeinsame Bemühung.

© Niels Pfläging 2022-04-09