von Arleen Schäfer
“Du siehst heute aus, wie eine richtige Squaw.” Und wieder war es da, dieses Gefühl von Worten überfahren zu werden. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht stand mein Kopf still. Schockstarre. Was soll ich tun? Wie reagiere ich. Die Frau vor mir war nett, emanzipiert und weit gereist, sie lebte Jahre in Thailand und nun in Portugal. Mit ihrer Tochter reiste sie im Camper durch Europa und arbeitete dabei im Home-Office als Therapeutin. Sie war doch gebildet und weltoffen. Doch würde sie mich verstehen?
Ich hatte im Bruchteil der normalen Reaktionszeit von drei Sekunden Zeit zum Entscheiden. Sollte ich die Konfrontation wagen und ihr erklären, was genau sie da gerade gesagt hatte? Wofür dieses Wort stand? Ich könnte ihr erklären, dass es von europäischen Siedlern für indigene Frauen und Mädchen genutzt wurde, um sie zu dehumanisieren und zu degradieren. Es war eine Umschreibung für, um es mit deutschen Worten möglichst direkt und verständlich zu sagen, eine Fotze die für jeden nach Lust und Laune zur Nutzung zu nehmen ist. Es ist ein Äquivalent zum Wort Hure, wobei diese wenigstens bezahlt werden und nicht einfach vergewaltigt und weggeworfen oder gar getötet, sie sich frei zum Gewerbe entschieden haben und über die Pubertät hinweg sind, zumindest in den meisten Fällen.
Diese, so aufgeklärte, moderne Frau vor mir wusste es nicht besser. Oder war es ihr, wie so vielen so viele Male zuvor einfach egal? Ich könnte auch den sicheren Weg nehmen und aus dem Scheinwerferlicht schnellstmöglich abhauen. Vielleicht würde sie mich ja verstehen, sich entschuldigen und für die Richtigstellung und Aufklärung bedanken. Doch diese Hoffnung hatte ich mittlerweile gelernt besser aufzugeben.
“Oh, ehm…Dankeschön.“ Es abtun und zurück zu dem wozu ich eigentlich hier war, um für etwas Kleingeld mit ihrem Hund spazieren zu gehen, in einer Pandemie muss man schließlich seine Mitmenschen unterstützen. Ja nicht kompliziert oder gar anstrengend sein, einfach höflich nicken und weitergehen. So überlebt das Reh. Gegen ein Auto kommt es nicht an.
Das Gefühl, überfahren zu werden, bleibt jedoch. Es bleibt während ich spaziere, während ich den Hund zurückbringe und mich verabschiede und selbst Tage später. Vielleicht war es meine Schuld, schließlich hatte ich dieses hübsche, exotisch-alternativ gestaltete Top an und meine langen, dunklen Haare offen. Vielleicht ist es meine Schuld, dass ich noch immer diese Situation mit mir herumtrage, selbst Monate danach, wahrscheinlich noch Jahre. Es ist zumindest meine Entscheidung gewesen, einfach zu schweigen. Es ist aber auch so viel einfacher, als Verständnis zu suchen, wo Respekt sein sollte. Gegen Wände zu reden frustriert einen mit der Zeit und lässt einen schlussendlich einfach verstummen. Selbst dann noch, wenn da vielleicht endlich Mal eine Tür war.
© Arleen Schäfer 2022-10-31