von Martina Grimus
Emil. Emil war der Bankdirektor in unserem kleinen Ort. Nun, ja. Ein Bankdirektor hinter einem ca. drei Meter langem Pult in einem kleinen Raum im Gemeindeamt. Eine Mitarbeiterin. So sah damals der Wirkungsbereich des Bankdirektors aus. In seiner Jugend arbeitete Emil, der aus dem Burgenland stammte, bei einer Straßenbaufirma. Jener Tatsache war es geschuldet, dass er sich sozusagen an unseren Ort heranbaute. Emil blieb am Ziel der Baulichkeiten “hängen”. Die Liebe war`s.
Für uns Kinder war er der Onkel Emil. Gefürchtet und geliebt. Gefürchtet deshalb, da er, der fern des kleinen Raums, welchen man gemeinhin “die Bank” nannte, ein wildes großes Kind war. Und, diese Wildheit wirbelte unsere Kinderschar dann und wann in alle Richtungen auseinander. Mit ein paar Brennesseln in der Hand wedelnd, und mit ausladenden Schritten, welche uns hinterher eilten, brachte er uns sprichwörtlich in Bewegung. Die Sache mit dem Juckpulver wäre dann wieder eine andere.
Erzählen möchte ich Euch heute aber jene Begebenheit.
Es begab sich nämlich folgendes. Schon mit kurzen Kinderbeinen stolperte ich entlang des Pfades der Komplexe.
Unter dem Spiegelbild meines Gesichts litt ich sehr. Wenn man “klein” ist, denkt man nicht “Oh, wie schön ist mein Gesicht. So glatt, so faltenlos..” Nein! Ich dachte immer wieder “Warum habe ich so viele hässliche Guggaschecken?”
Zur Erklärung: “Guggaschecken” werden hierorts die Sommersprossen genannt. Und, wenngleich Pippi Langstrumpf wirklich in vielerlei Hinsicht “eine wilde Henne” war und man mal gerne so wie sie gewesen wäre, die Guggaschecken mussten aber wirklich nicht sein. Jedenfalls nicht in meinem Gesicht!
An einem Mittag, nach Beendigung des Volksschulunterrichts, fand ich wie so oft den Heimweg nicht. Und, abermals, wie so oft, war ich in der heiteren Runde der “Makelkinder”. “Das Makel”. So wird bis dato das Ortszentrum unseres kleinen Dorfes genannt. Hier tat sich, was die Welt der Kinder betraf, am meisten.
Und so saß ich an besagtem Mittag beim großen Tisch in der Küche des Gasthauses der Mutter meiner Großcousine Andrea. Emil war auch da. Und so wurde jener Tag richtungsweisend in meinem Kinderleben.
Warum? Nun, ein paar Worte nur. Und, meine komplexbehaftete Seelenwelt war erhellt. Ja, hell!
Wie es sich begab, dass ich Emil von meinem “Guggaschecken-Komplex” erzählte, daran entsinne ich mich nicht.
Wohl aber, sehe ich Emils altes Gesicht – er war damals im greisen Alter von Anfang dreißig – heute noch vor mir. Emil sagte ruhig und mit fester Stimme “Warum schämst du dich denn für deine Guggaschecken? Weißt, ein Mädchen ohne Guggaschecken ist wie der Himmel ohne Stern`!“
Wie der Himmel ohne Stern`!
Wie leer sähe der Nachthimmel ohne Mond und Sterne aus! Oft schaute ich abends in den Himmel zu den Sternen, all meine Sehnsüchte versendend. Ab jener Begebenheit war ein Komplex in den Weiten des sternenübersäten Weltalls einfach verpufft.
Denn, wer möchte schon einen Himmel ohne Stern`?
© Martina Grimus 2020-12-01