Zunächst kommunizierten sie über Google Translate. Er sprach ins Handy, auf Italienisch oder Arabisch, sie las, zeitverzögert, die Übersetzung auf Deutsch oder Englisch. Sie liebte diese Art der Konversation, den Moment, in dem er sie ansah, erwartungsvoll, auf Verständnis wartend, hoffend. Lächelnd, freudig, sobald ihr Gesichts Erkenntnis zeigte.
Fathy sprach. Er schrieb nicht. Das europäische Schriftsystem hatte nicht das Geringste mit dem arabischen gemein. Sie betrachteten die Welt aus zwei verschiedenen Blickweisen. Seine Welt bewegte sich zu ihrer entgegengesetzt. Von rechts nach links. Von links nach rechts.
„Glaubst du, dass Schrift unser Denken konditioniert?“ Er lachte, schüttelte den Kopf. „Wie siehst du die Welt? Denkst, fühlst du sie anders als ich? Kommt dir hier nicht alles irgendwie verkehrt herum vor?“ Sie sprach, er las, überlegte, zuckende Schultern. „Als ich hergekommen bin, stand die Welt kopf für mich.“
Wer hatte eigentlich entschieden, wie wir schrieben? In Japan, in Korea, in China ging es primär von oben nach unten. Und erst dann von rechts nach links. Von oben nach unten schrieb sie nur die Einkaufsliste. Dabei fände sie durchaus Gefallen daran, in einer endlosen, unaufhörlichen Schleife zu schreiben, ohne aufzuhören, ohne abzusetzen, immer und immer weiter. Wie der Ochse mit dem Pflug.
Sie sprach, er las, zögerte, sprach in sein Telefon, ägyptisches Arabisch: „Ich denke zu viel. Mein Kopf platzt. Ist immer voll. Ich kann mich nicht beruhigen. Ich denke an meine Familie, meine Mutter. Ich kann nicht zurück. Dann muss ich Soldat werden. Deswegen hat meine Mutter mich weggeschickt. Nach Mailand. Ein besseres Leben. Hat sie gesagt. Aber die Stadt gefällt mir nicht. Sie nennen es Integration und dann leben Araber unter Arabern, Chinesen unter Chinesen, Spanier unter Spaniern, Italiener unter Italienern, nebeneinander aneinander vorbei und würdigen sich keines Blickes. Ich bleibe nicht für immer.“
Sie las und dachte, wie unzulänglich Sprache war, egal in welcher Form. Sie schaute ihn an, wollte Worte sagen, fand keine. Er schaute zurück. Er betrachtete sie direkt, eindringlich, bei allem, was er sprach. Sie dachte, wie selten sie die Menschen ansah, mit denen sie redete, wie ihr Blick niemals ausharrte, nie blieb, nicht für länger.
Er sprach sie an mit vollem Namen, Annabelle, Betonung auf der letzten Silbe. Für die anderen war sie immer bloß Anna. Palindrom. Leicht zu dechiffrieren. Funktionierte von links nach rechts wie von rechts nach links. Von oben nach unten wie von unten nach oben. Gleichförmig. Gleichmütig. Gleich.
© Marielle Kreienborg 2021-08-03