von Aulona Demolli
Wo ist man zu Hause? Eine Frage, auf die viele eine eindeutige Antwort geben können, doch für viele wiederum erfordert sie eine tiefere Überlegung – manchmal sogar ein ganzes Leben lang. Ist es der Ort, an dem die Familie lebt? Der Ort, an dem die Kindheitserinnerungen einen nostalgisch werden lassen oder ist es jener Ort, an dem man den Klang der eigenen Muttersprache wie eine vertraute Melodie wahrnimmt? Mit meinen Eltern sprach ich auf Albanisch, aber gedacht habe ich immer auf Deutsch. Meine ursprünglichen Wurzeln liegen in Pristina, aber geboren und aufgewachsen bin ich in München. Nostalgische Kindheitserinnerungen habe ich sowohl in Deutschland als auch im Kosovo, weil ich dort jeden Sommer bei meinen Verwandten verbrachte. Im Kosovo bin ich „die Deutsche“ und in Deutschland bin ich „die Albanerin“. Vielleicht ist mein zu Hause in dem Land, dessen Literatur mich am meisten fasziniert hat. Ich lese gerne Bertolt Brecht, dessen politische Überzeugungen ihn ins Exil trieben, aber ebenso habe ich auch die albanischen Werke von Ismail Kadare verschlungen, der seine geliebte Heimat in Gjirokastra aufgrund der ehemaligen kommunistischen Regierung Albaniens verlassen hatte und nun in Paris lebt. Der französische Schriftsteller Sartre hat mich im Übrigen auch immer begeistert und für die französische Sprache hege ich auch eine Leidenschaft. Vielleicht fühle ich mich auch wie Kadare Frankreich zugehörig. Aber ich bin keine Französin. Michail Bulgakow hatte mich dazu bewogen, Russisch zu lernen und nach Moskau zu fliegen, wo ich mich wohlgefühlt habe, jedoch bin ich keine Russin. Offiziell bin ich als Folge der serbischen Politik und gemäß der deutschen Bürokratie laut meinem Reisepass Serbin, obwohl mich mit Serbien nichts verbindet. Ein Pass, der wie ein verblasstes Relikt aus einem zerfallenen Jugoslawien erscheint, das einst Heimat der albanischen Generation meiner Eltern war. Doch der Krieg zwang sie zur Flucht, ins Ungewisse, fern der Heimat. Wie aber kann man das eigene Zuhause finden, wenn man, wie ein herbstliches Blatt, von den Winden der Politik, der Kriege und der Bürokratie hin- und hergetrieben wird – ohne je festen Boden unter den Füßen zu spüren? Und wie paradox es auch klingt, fühlt man sich dann doch, auf eine merkwürdige Weise, fast überall zu Hause. Brauche ich überhaupt in einer Welt, die einst ohne Grenzen für alle Menschen gedacht war und die nun nur in meiner Vorstellung weiterlebt, eine Antwort auf die Frage, wo mein Zuhause ist? Wenn es eine Antwort gibt, dann ist sie vielleicht so einfach wie sie komplex ist: Mein Zuhause ist meine Welt.
© Aulona Demolli 2021-04-24