Wie ich das Ende der Kriegszeit erlebte.

Josef Gantner

von Josef Gantner

Story

Es ist schon lange her und doch sind die Geschichten lesenswert bis mahnend für die Zukunft.

Vor uns Kindern wurde gerade in den letzten Kriegsjahren zu Hause wenig geredet, so dass ja keine gefehlten Worte über das damals unheilvolle Regime nach außen dringen konnten. Wenn jemand – ein Vetter oder Tante oder andere Bekannte – bei den Eltern auf Besuch waren, schickte man uns Kinder aus dem Haus, so dass man vertraulich miteinander reden konnte. Denn mein Vater war ja nicht bei der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), und wer damals nicht dabei war, wurde schon zu den Gegnern des diktatorischen Regimes gezählt. Man wusste ja nie, ob die Kinder heimlich, hinterhältig ausgefragt würden und etwas vom dem Daheim-Gesprochenen hinaustragen würden.

Erst in meiner Pension fand ich im Buchregal das kleine Büchlein, das damals an jeden Haushalt verteilt wurde, mit dem Titel „Die dreißig Kriegsartikel für das deutsche Volk“, vom damaligen Reichspropagandaminister Dr. Goebbels. Darin heißt es im Artikel 1 : „Alles kann in diesem Krieg möglich sein, nur nicht, dass wir jemals kapitulieren und uns unter die Gewalt des Feindes beugen. Wer davon spricht oder auch nur denkt, begeht einen feigen Verrat am Lebensrecht seines Volkes und muss mit Schimpf und Schande aus der kämpfenden und arbeitenden deutschen Gemeinschaft ausgestoßen werden.“

Das Wort „ausgestoßen“ hieß so viel wie Einlieferung ins KZ, was dann höchstwahrscheinlich der Tod gewesen wäre. Dies ist nur ein Auszug zum besseren Verständnis, wie vorsichtig meine Eltern im Gespräch mit anderen sein mussten, denn es war bekannt, dass besonders Kinder von Regimgegnern hinterlistig ausgefragt wurden.

Wie brutal das NS-System regierte und reagierte wurde uns immer wieder vor Augen geführt: Der jüngste Bruder meiner Mutter – er war gerade 16 Jahre geworden – meinte nach der Sonntagsmesse auf dem Kirchplatz in Dalaas etwas vorlaut: „Der ka mi am Buggel ai rutscha – eppm’r muas Buurschaft o maha“ („der kann mir den Rücken hinunter rutschen, jemand muss die Arbeiten auf dem Bauernhof auch noch machen“). Gemeint war damit der sogenannte Blockführer und Bauernführer, ein fanatischer und gefürchteter Nationalsozialist in der Gemeinde. Die Aussage meines Onkels kam diesem umgehend zu Ohren. Drei Tage später hatte mein Onkel den Einberufungsbefehl und wurde gleich direkt an die Ostfront nach Russland beordert (mundartlich „Kanonenfutter“). Er erlitt nach drei Monaten dort den Kriegstod.

Die anderen drei Brüder meiner Mutter kamen, Gott sei es gedankt, nach unterschiedlich langer Gefangenschaft alle unversehrt wieder nach Hause. Ein Bruder war als Senn in Lech zum Zwecke der Nahrungssicherung UK gestellt („unabkömmlich“) und daher kriegsbefreit.

© Josef Gantner 2020-04-28