Am Ende meiner Kräfte

Herbert Schieber

von Herbert Schieber

Story

Ich wohne in Kapfenberg und bin gut durchtrainiert (ich spreche vom Zeitpunkt der Geschichte!). Tägliches Laufen und einmal wöchentlich 800 Höhenmeter hinauf auf den Hochanger gehören zum Programm.

Es ist Frühling. Es ist ein wolkenloser Freitag. Mein Arbeitskollege, ein Bergfex fragt mich, ob ich mit ihm auf die Zöbererhöhe mitgehen möchte. Er hätte zwei Paar gekürzte Schier, mit denen wir in das gegenüberliegende Tal abfahren können, sofern genug Schnee vorhanden ist.

Natürlich sage ich ja. Meine Frau fährt uns zum Ausgangspunkt. Später soll sie uns auf der anderen Bergseite abholen. Es ist etwa 14Uhr in Parschlug, auf etwa 700Meter Seehöhe. Die zu überquerende Zöbererhöhe liegt auf 1.486Meter. Eine für mich gewohnte Höhendifferenz. Mit den gekürzten Schiern und den Schischuhen im Rucksack, sowie den Schistöcken in den Händen starten wir voller Vorfreude und kommen flott voran.

Der Aufstieg liegt südseitig. Die Sonne verwöhnt uns mit Wärme. Hoffentlich ist noch genug Schnee, damit wir die Abfahrt entlang des Zöbererbaches genießen können. Auf etwa 1.000Meter der erste Schnee. Super! Zusehends wird es mehr Schnee. Die ersten durchgehenden Schneefelder. Meine durchtrainierten Muskeln und die schweren Knochen bringen es auf rund 85Kilogramm. Mein Arbeitskollege wiegt etwa 65Kilogramm. Eine Differenz die ich noch büßen werde.

Plötzlich Schneefelder mit harschem Schnee, das heißt überzogen mit einer dünnen Eisschicht. Mein Kollege geht leichtfüßig darüber, ich mache vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. Auf rund 1.200Meter ist zum ersten Mal der rechte Fuß weg. Er hat die Eisschicht durchbrochen und versinkt in etwa 40cm Schnee. Während der linke Fuß auf der brüchigen Eisschicht den Stand sichert, ziehe ich den rechten vorsichtig aus dem Loch. Geschafft. Aber nach nur fünf Schritten ist der linke Fuß weg. Und so geht es weiter. Einmal zehn Schritte, einmal zwei Schritte, einmal… das Hochsteigen aus dem Loch zerrt an meiner Kraft und Kondition. Mein federleichter Kollege schwebt förmlich über das Eis. Er nimmt mir sogar den Rucksack ab. Keine Besserung. Fuß weg, Fuß raus, ein paar Schritte, Fuß weg…. ein Mont Everest baut sich mächtig vor mir auf. Fuß weg, Fuß raus, ein paar Schritte… so geht es weiter, bis wir nach einer Ewigkeit doch die Anhöhe erreichen. Ich bin am Ende meiner Kräfte.

Wir müssen aber noch hinunter. Adjustiert starten wir die Abfahrt. Der erste Hang liegt frei da. Jeder Schwung brennt mir in den Schenkeln. Jetzt geht es hinein in das Bachbett. Steinbrocken, Wurzeln, tiefes Schneeloch, Wurzeln, Schneeloch, Felsen, Schneeloch, Steinfeld… alle 10Meter raste ich. Mein Kollege sieht meine Verzweiflung an. Er hält sich auf sicherer Distanz. Immerhin hat er diese Tour gewählt. Ich bin körperlich und mental am Ende. Mein Blick fixiert nur noch den Boden vor mir.

Plötzlich steht sie da, meine Frau. Wir sind unten. Geschafft! Ich setzte mich ins Auto, lehn mich zurück und schlafe ein.

© Herbert Schieber 2019-10-28

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