Wie mich mein Zahnarzt beglückte

Monika Bayerl

von Monika Bayerl

Story

Seit Ende Februar weiß ich, dass der Herr Doktor eine Füllung machen muss. In einen von bösen Kariesbakterien angegriffenen Zahn. Obwohl mir dieser gar keine Probleme macht. Das Röntgenbild hat den Schwachpunkt schonungslos aufgespürt. Hätte man vielleicht noch ein Auge zudrücken können. Aber nein, zu gewissenhaft ist mein Herr Zahnarzt.

Was soll’s, ich würde mich dem Unausweichlichen stellen. Dann kam Corona und die vorübergehende Verschiebung sämtlicher Termine. Gnadenfrist sozusagen. Ist nämlich nicht so, dass ich den Herrn Doktor gerne sehe. Eher gar nicht. Beim Betreten der Praxis und Einatmen des dort festsitzenden Geruches überfällt mich hilflose Angst und lässt mich schrumpfen. Je länger ich warten muss, bis ich auf diesen fiesen Liegestuhl klettern darf, desto kürzer werden meine Fingernägel.

Erfolgreich konnte ich den bevorstehenden Besuch verdrängen. Bis zum letzten Sonntag. Mulmig wurde es mir da. Im Bauch und überall. Diese ganze Woche hätte ich am liebsten aus dem Kalender gelöscht. Are you sure you want do delete it? Yes!

Am Montag und Dienstag breiteten sich ungefragt Spannungskopfschmerzen aus. Selbst bewährtes Aspirin kam dagegen nicht an. Abends überlegte ich bereits, den Termin abzusagen. In meinem Zustand war ich einem Bohrer nicht zuzumuten.

„Du weißt doch, wie sehr du dich freust, wenn du es hinter dich gebracht hast! Diese Erleichterung! Dieses Glücksgefühl! Dieses Aufatmen, wenn die Anspannung endlich nachlässt! Kannst du dich erinnern?“, legte sich meine innere Stimme alias Vernunft und Erfahrung ins Zeug für mich. „Außerdem wird es gar nicht weh tun. Du brauchst dir nur eine Spritze geben zu lassen.“ Ein verlockendes Argument.

Ja, wie gut es tut, sich zu erinnern, wie ich in den letzten Jahren mit ganz viel Mut und Selbstliebe, Schritt für Schritt, meine größten Ängste überwinden habe können. Die Angst davor im Lift oder in der Gondel, im Tunnel oder im Verkehrsstau stecken zu bleiben. Die Angst, mich so zu zeigen, wie ich bin. Mit all meinen Schwächen und Fehlern.

Heute Morgen war ich bereit, das spürte ich schon beim Aufwachen. Das Gefühl, alles schaffen zu können, gab mir Halt und Optimismus. Sobald sich der Termin in meine Gedanken schob, sah ich mich lächelnd aus der Zahnarztpraxis gehen. Ich war dabei so überzeugend, dass ich während der Behandlung nicht einmal eine Spritze brauchte.

Den saugenden Schluckschlauch, das grelle Licht, das Drücken, Ziehen, Zwicken und Kneifen, die ganze Anspannung atmete ich konsequent weg. Nach dreißig Minuten war alles überstanden. Ich war überwältigt und bedankte mich beim Herrn Doktor für die schmerzfreie Behandlung. „Das liegt nicht an mir“, war seine bescheidene Antwort.

Gerührt setzte ich mich ins Auto und ließ die Freude in mir pulsieren. Wer hätte gedacht, das ich mein Glück ausgerechnet beim Zahnarztbesuch finden würde?

© Monika Bayerl 2020-05-27

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