von Wolkenkatze
Dione trinkt den ersten Kaffee seit zwei Wochen, als ein Einsatzteam den Kindergarten stürmt. „Ihr seid verhaftet“, bellt Pythios und kaltes Metall umklammert ihre Handgelenke, bevor sie überhaupt begreifen kann, was gerade passiert. Zwischen panischen Gesichtern entdeckt sie Pomona. „Warst du das?“, will sie fragen, doch der Schock lässt sie schweigen.
Pythios sitzt ihr gegenüber in einem Raum, der schon viel Verzweiflung gesehen hat. Neben ihm steht ein weiterer Polizist, den Dione nur von Fotos kennt. „In den letzten zwei Jahren habt ihr 23 Kinder aufgenommen, die nicht offiziell erlaubt und nicht registriert waren. Ein Wunder, dass ihr so lange damit durchgekommen seid. Warum habt ihr das gemacht?“ Pythios sieht sie an, das Blau seiner Augen so hart wie Stahl. Dione hält seinem Blick Stand: „Schon mal was von Freiheit gehört? Davon, dass Menschen selbst entscheiden wollen, mit wem und wann sie Kinder kriegen?“
„Dione, du weißt genau, dass es uns nicht gut ging, als wir unsere eigenen Entscheidungen treffen durften. Das hier ist eine zweite Chance. Wenn das Experiment gelingt, werden sich andere Staaten diesem System anschließen. Wir können die Menschheit retten. Ist die Freiheit dafür nicht ein kleiner Preis?“
„Ihr behandelt die Freiheit mit so viel Geringschätzung. Dabei ist sie das Kostbarste, was wir haben.“
„Außer unserem Leben. Ihr habt die Gesundheit vieler aufs Spiel gesetzt, um die zu unterstützen, die sich nicht an die Regeln halten. Ihr habt Essensportionen von 47 Kindern auf 70 verteilt. Fakt ist also, dass ihr nicht den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden konntet, weder was Essen noch den Platz oder die Zeit für die Betreuung betrifft. Ganz zu schweigen von der Unverantwortlichkeit der Menschen, die ohne Berücksichtigung ihrer genetischen Kompatibilität ein Kind zeugen.“
„Sie haben alle ein Recht, zu leben!“
„Was ist das für ein Leben in Angst um ausreichend Ressourcen?“ Pythios stoisches Gesicht und die ruhige Stimme sind wie ein Wall, den keines von Diones Worten durchdringen kann.
„Warum verstehst du nicht, dass dieses verdammte System uns nicht glücklich macht?“
„Das waren viele vorher auch nicht. Es liegt nicht in unserer Hand, alle glücklich zu machen. Wir können nur die Bedingungen schaffen, um ein menschengerechtes Leben zu ermöglichen.“ Die Verzweiflung brennt heiß auf Diones Wangen und sie stemmt sich mit aller Kraft gegen die Handschellen, die sie am Stuhl festhalten. „Ich lasse mir meine Mündigkeit nicht von einem emotionslosen Ding nehmen, das glaubt, mich zu kennen!“, schreit sie, blind vor Tränen und wehrlos gegen Zephyr, der sie plötzlich packt und an jeder weiteren Bewegung hindert.
„War Cynthia beteiligt?“, fragt er, bisher zum Zuhören verdammt, sein Griff unnachgiebig. „Es war sogar ihre Idee!“ Sie spuckt die Worte wie Gift in sein Gesicht und weiß, dass es sein Herz lähmen wird.
„Das reicht“, sagt Pythios, „Zephyr, führ’ sie ab und bring mir Briseis als nächstes.“
© Wolkenkatze 2022-08-13