von Wittkopp
„Wittkopp, stecke Lucht an, datt Schwattkopp watt seihn kann!“ Diesen plattdeutschen Satz bekam ich als kleines Kind von meinem Onkel Ernie oft zu hören. Ins Hochdeutsche übersetzt heißt es: „Weißkopf, macht das Licht an, damit der Schwarzkopf was sehen kann!“ Schneeweiß waren meine Haare tatsächlich. Onkel Ernie war ein dunkler Typ, seine Haare und Augen waren braun. In meiner Erinnerung war er ein ruhiger und in sich gekehrter Mensch. Oft stand er im Garten unseres Hauses und guckte in den Himmel. Beim Auspusten seines Zigarettenqualms konnte er Kringel formen. Mich hat das als Kind beeindruckt, wie auch seine Geschichten. Als Soldat war er in Afrika und muss schlimme Sachen erlebt haben. So fehlte ihm an der rechten Hand der kleine Finger. Mir hat er immer erzählt das ein Krokodil am Nil, ihm den selbigen abgebissen hat. Damals habe ich das natürlich geglaubt. Mit seinen anfangs genannten Worten wollte er vermutlich bewirken, dass ich mit meiner kindlichen Lebensfreude ein wenig Licht in sein inneres Dunkel bringe. Denn ich war nicht nur der Wittkopp, sondern auch der Sonnenschein der Familie. Leider verstarb Onkel Ernie und seine Frau viel zu früh, sehr tragisch. Ich verstand die Welt nicht mehr und hatte tausend Fragen!
Der Umgang mit Trauer und Tod ist nicht nur in den siebziger Jahren ein schwieriger gewesen. Über viele Dinge wird auch heute nicht hilfreich gesprochen. Betroffene schämen sich, sind durcheinander, wütend oder traurig über das was sie erlebten. Sie verstehen sich selbst nicht. Außenstehende sind dagegen oft hilflos und ohnmächtig und sprechen dann lieber mit anderen Menschen über diese Menschen. So entstehen übrigens viele Halbwahrheiten und Gerüchte. Das ist ein ziemliches großes Problem unserer aufgeklärten Welt. Wenn es dann noch um so heikle Themen wie beispielsweise Suizid oder Missbrauch geht, ist das Tabu und der seelische Schmerz noch größer. Wir wissen, das Reden hilft, aber wissen wir nicht, wie wir gute, heilsame Worte finden. Wir wollen das Gute tun und tun es doch nicht! Meiner Meinung nach gibt es immer noch zu viele Tabus. Reden hilft, um inneren Ballast loszuwerden und insbesondere, negative Gefühle auszugleichen und anzupassen. Die innere Gefühlswelt kann ansonsten zu einem regelrechten Gefängnis werden. Und ich weiß, wovon ich rede.
Christian Morgenstern sagt: „Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.“ Da ist was dran. Meine Haare sind nicht mehr so weiß wie früher, aber die innere Strahlkraft ist wieder da. Wittkopp lässt leuchten! Und wer weiß – vielleicht sitzt Onkel Ernie mit meiner Lieblingstante im Himmel auf dem schönen, roten Plüschsofa, isst Toblerone und beide knipsen das Licht an.
© Wittkopp 2023-09-17