von Ingrid Kölbl
Wieder daheim. Bevor ich zurück in meine Wohnung fahre, besuche ich mein langjähriges Lieblingscafé der Stadt. Ich hocke an einem der Fensterplätze. Meine Augen blicken auf die vertraute Straße draußen, meine Gedanken sind noch in Kolumbien.
Ein Mann betritt das Café. »Kann ich einen Kaffee haben, ohne Geld?«, fragt er die Frau an der Theke.
Wie viele Menschen wohl in Bogotá täglich aufwachen, ohne ein Dach über den Kopf gehabt zu haben? Ohne einen Ort gefunden zu haben, der ihnen genügend Privatsphäre gibt, um zumindest die Notdurft in Würde verrichten zu können?
Bis vor wenigen Wochen wäre mir der gerade nach Kaffee bettelnde Mann weitaus ärmer vorgekommen, als er es heute tut. Wenngleich seine Hose ein bisschen schmutzig ist, wirkt er doch, als gäbe es für ihn nicht nur das Leben auf der Straße! Ich muss unweigerlich an die wandelnden Gestalten in Bogotá denken. Viele der dortigen Obdachlosen sehen aus, als hätten sie seit Wochen nur auf einer Müllhalde übernachtet! Ihre Körper sind ausgezehrt, ihre Haare ein einziger Rummelplatz für Flöhe und Läuse. Ihr Hab und Gut schleifen manche hinter sich her, manche lassen es am Boden liegen oder tragen es in alten Plastiktüten durch die Gassen der Stadt. Wie viele Jahre das manche wohl schon machen?
Nach fünf Wochen in Kolumbien gewöhne ich mich schnell wieder an unsere Selbstverständlichkeiten. Genieße sie durchaus. Doch während ich meine Reise-Habseligkeiten spätestens in einem Tag wieder gewaschen, geordnet und verräumt haben werde, geht der tägliche Überlebenskampf der Obdach- und Mittellosen dieser Welt unbeirrt weiter. Mit dabei: Gestank, Verkehrslärm und Trubel. Krankheiten. Die hupenden Autos dröhnen noch nach. Motoren heulen auf, Marktleute schreien, aufdringliche Impulsadores vor Restaurants ebenso. Sie versuchen, Passanten in die Lokale zu locken. Der beißende Uringestank in Bogotá…
…so gerne ich in Lateinamerika on Tour bin, auch der spanischen Sprache wegen: Eine frische Dusche, neue Kleider sind eine wahre Wohltat! Und auch jeder Moment der Stille.
Stille hier im Café. Der bettelnde Mann hatte Erfolg. Mit einem Becher Kaffee in der Hand geht er hinaus auf die Straße. Auf meinem Handy ploppt eine Nachricht auf, von David. Eine Reisebekanntschaft aus Medellín. Seit Jahren wohnt der Amerikaner in der Stadt, die einst von Drogenkartellen beherrscht war.
“I haven’t gone to Comuna Santo Domingo yet, that area seems too risky for me. lol.“
Wieder Stille.
Wie es wohl sein muss, im Ausland zu leben, weil einem die Heimat nicht zusagt? Wie es sich wohl anfühlt, zugleich von der neuen Heimat nur wenig mitzubekommen, weil das Leben dort eben auch so seine Tücken hat?
© Ingrid Kölbl 2023-11-25