Wiedersehen

Melina Albandopulos

von Melina Albandopulos

Story

Das Flugzeug landete um 14.48 Uhr. Lea war schon eineinhalb Stunden früher dagewesen und wartete seitdem. Die Anzeigetafel verriet ihr, dass die Passagiere bereits ausgestiegen waren und nun nur noch ihre Koffer finden mussten. Ungeduldig versuchte sie einen Blick durch die Glastür zu erhaschen, durch die bereits die ersten Fluggäste kamen und von ihren Angehörigen stürmisch begrüßt wurden. Sollte sie sich auch so verhalten? Sollte sie Lars in die Arme fallen und ihn leidenschaftlich küssen? So hatte sie es sich seit drei Jahren vorgestellt. Drei Jahre war Lars im Ausland gewesen, drei lange Jahre hatte er als Arzt in Tansania gearbeitet, während Lea brav zu Hause gewartet und ihr Jurastudium abgeschlossen hatte. Die Beziehung hatte ausschließlich über Telefonate und Videoanrufe stattgefunden, anfangs noch recht regelmäßig, mit der Zeit aber war der Kontakt weniger geworden. Auch die Kreuzchen im Kalender, die Lea angeben sollten, wie lange die Ankunft ihres Freundes noch dauern würde, hatte sie irgendwann vergessen. Lange hatte sie den heutigen Tag herbeigesehnt. Doch so kurz bevor Lars und sie wieder vereint waren, machten sich Zweifel in ihr breit. Ihr Magen krampfte sich vor Nervosität unangenehm zusammen. Lea konnte sich mit bestem Willen nicht ausmalen, wie sie mit Lars Ankunft umgehen sollte. Hatte die Reise ihn verändert? War er noch derselbe muntere junge Mann, den sie auf dem Geburtstag einer Freundin kennengelernt und in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, als sie gerade einmal sechzehn gewesen war?

Eine Traube von Menschen kam durch die Tür. Die Familie neben Lea wedelte zur Begrüßung wild mit Fahnen. Ein älterer Herr hob ein Plakat in die Höhe. Hätte sich Lea vielleicht auch die Mühe machen und ein Plakat basteln sollen? Sie konnte gar nicht mehr einschätzen, ob Lars eher ein Mensch war, der sich darüber freute oder es doch kitschig finden würde.

Hinter der Gruppe befand sich ein unscheinbarer Mann. Lars. Er hatte ein wenig abgenommen und sich länger nicht rasiert, sodass Lea ihn beinahe nicht erkannt hatte. Früher hatte er ihr besser gefallen. Statt der stürmischen Begrüßung blieb sie nun wie angewurzelt stehen und wartete bis Lars mit seinen Koffern im Schlepptau bei ihr angelangt war. Auch er wusste anscheinend nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Kurzum umarmten sich die beiden, doch nicht wie ein Paar, sondern mehr nur aus Höflichkeit.

“Hallo, Lea.”, sagte Lars knapp und lächelte. “Freut mich, dich wiederzusehen.”

“Hi.” Lea machte eine Pause, um nach weiteren Worten zu suchen. “Wie war die Reise?”

“Gut.”

Lea nickte. Kurz hob Lars die Hand und Lea dachte schon, dass er sie nun an der Wange berühren und küssen würde, doch da senkte er seine Hand schon wieder. Insgeheim war Lea froh darüber. Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Ausgangs.

Nebeneinander liefen sie zu Leas Auto. Wie zwei Fremde. Wortlos. Emotionslos. Die lange Parkzeit kostete Lea ein halbes Vermögen.

© Melina Albandopulos 2022-06-03

Hashtags