Wiedervereinigung auf dem Brocken

Reinhard Pape

von Reinhard Pape

Story

Der Brocken ist mit 1141m Höhe der höchste Berg im Mittelgebirge Harz und konnte bis zur Wiedervereinigung nur durch das Fernglas beobachtet werden.

1989 hatten wir Jamie aus Amerika bei uns in der Familie für 1 Jahr zu Gast. Selbstverständlich auch für sie eine aufregende Zeit, wie sich Weltgeschichte veränderte.

In der Zeitung war zu lesen, dass eine Einheitsfeier um Mitternacht auf dem Brocken mit den Fischer-Chören abgehalten werden sollte. Da wollten wir mit unseren 3 Kindern und Jamie in jedem Fall mit dabei sein!

Von Braunschweig fuhren wir etwa 50 km entfernt hoch zum Torfhaus und parkten den Wagen am Soldatenfriedhof. Von dort ging es 1-2 Stunden durch verwunschene Waldwege Richtung Brocken – gottlob war sogar Vollmond, der Himmel wolkenlos und die Sterne funkelten.

Wir erreichten die alten Betonplatten des Grenzweges mit Stahlzäunen an der Seite und keuchten weiter bergan. Endlich, der Wald trat zurück, die kahle Bergplatte lag vor uns – NICHTS!

Andere Menschen, die Fischer-Chöre, NICHTS! – Waren wir einer Falschmeldung aufgesessen, „fake news'“ wie wir heute sagen würden ?!!

Noch nicht einmal Glühwein – von leckeren Bratwürsten ganz zu schweigen – wurde von irgendjemanden aus den verlassenen Hütten heraus angeboten – bei niedrigen Temperaturen hatte ich darauf gehofft. – Wir waren allein, welch eine Enttäuschung!

Rucksack auf, kleines Picknick vom Mitgebrachten – und frustriert wieder runter.

Alternativlos, dachten wir. – Da, es war so etwa 23.45 Uhr, wie Ameisen krabbelten plötzlich von allen Seiten Menschen auf uns zu. Plötzlich Scheinwerfer, das Mitteldeutsche Fernsehen war da, die angekündigte Feier begann zu rollen. Nur, ohne Fischer-Chöre, die sollen in Schierke geblieben sein, tief unten im Tal, wie wir später erfahren haben.

Wir sangen somit in Eigenregie, nahmen uns in die Arme, herzten uns, Sektkorken knallten, Fahnen wurden geschwungen – es war atemberaubend und alles bis heute unvergeßlich für uns „Wessis und Ossis“ – wie es später hieß.

Gegen 2 Uhr nachts traten wir den Heimweg an. Die Augen hatten sich an die Helligkeit in der Nacht gewöhnt, keiner hat sich die Hachsen gebrochen – gegen 5 Uhr früh lagen alle Zuhause im Bett.

Wenn möglich sind wir in den Folgejahren immer mal wieder zum Brocken zurückgekehrt. Inzwischen ist es uns ein bißchen zu touristisch geworden, da natürlich viele statt zu wandern auch mit der Dampflokomotive den Gipfel erreichen können, aber gut!

In Berichten lesen wir des Öfteren etwas über den „Brocken Benno“, einem jetzt 80jährigen, der viele tausend Mal den Gipfel bei Wind und Wetter erklommen hat.

Der Brocken ist mystisch, der Brocken ist ein Zauberberg und im Winter meldet der Wetterdienst immer wieder aufs Neue unwahrscheinliche Windgeschwindigkeiten von dort oben.

Noch an unserem Einheitstag waren in Baracken die letzten russischen Soldaten „beheimatet“. Die Armen boten zum Teil den Leuten ihre Militärmützen und andere Andenken an, Geschichte…

© Reinhard Pape 2020-06-05