Als ich 16 war, saß ich mit schmerzerfüllter Sehnsucht vor dem Fernseher und sah den Wiener Opernball. Ich war mir sicher, dahin würde ich niemals kommen. In keine reiche Familie hineingeboren, mit wenig Selbstbewusstsein ausgestattet, scheu, zurückgezogen in meine eigene Welt, schien mir die große weite Welt der Reichen und Schönen versperrt zu sein.
In den folgenden Jahren ignorierte ich den berühmten Wiener Opernball. Ich quälte mich nicht mehr damit, ihn mir im Fernsehen anzusehen und meinen Schmerz spüren zu müssen. Ich wurde älter und reifer und betrachtete dieses Tanzereignis nicht mehr mit den Augen eines jungen naiven Mädchens, sondern mit dem kritischen Blick einer erwachsenen, gebildeten jungen Frau.
Die Jahre gingen dahin. Studium, Kinder, Heirat. Alltag mit seinen Problemen und Herausforderungen. Die Ehe zerbrach. Trennung. Gespräche über Scheidung. Mein Mann zog aus. Zunächst war ich traurig darüber. Aber dann genoss ich die neu gewonnene Freiheit. Ich ging aus. Ich lernte Männer kennen und verbrachte so manche Nacht in fremden Wohnungen und fremden Betten. Eine aufregende schöne Zeit begann. Ich übte mich in sexueller Freiheit und fand allmählich Geschmack daran.
Und dann verliebte ich mich doch. Plötzlich waren alle anderen Männer unwichtig. Ich hatte nur noch Sehnsucht nach diesem einen Mann. Ein erfahrener Liebhaber. 18 Jahre älter als ich und Tänzer an der Wiener Volksoper. Das beeindruckte mich. Der Mann beeindruckte mich. Und schön war, dass auch er in mich verliebt war, mich als die Liebe seines Lebens bezeichnete und heiraten wollte. Wir trafen uns in seiner Wohnung und hatten schöne zärtliche Stunden. Er nahm mich mit in die Volksoper. Einmal saß auch ich im Publikum, während er auftrat. Und dann kam eine Einladung zum Opernball von ihm. Ich konnte es kaum glauben. Aber er meinte es ernst. Ich nahm die Einladung an und freute mich auf diesen Tag. Es war der 14. Februar 1985,
Ich ging auf die Suche nach einem schönen Ballkleid und schicken Tanzschuhen. Meine Wahl fiel auf ein langes schwarzes figurbetontes Samtkleid mit Spaghetti Trägern. Dazu passende Schuhe und eine Perlenkette. Er trug einen eleganten Frack. Wir waren ein schönes Paar.
Er wohnte nicht weit weg von der Wiener Staatsoper. So gingen wir zu Fuß dahin. Ich fühlte mich schön. Ich glaube, ich war glücklich an diesem Tag. Eine Wunscherfüllung nach so vielen Jahren. Herrlich. Noch dazu ein begnadeter Tänzer an meiner Seite. Und so war es dann auch. Wir tanzten und tanzten bis in die frühen Morgenstunden. Zwischendurch kleine Trink- und Ruhepausen. Ich fühlte mich wie Aschenputtel, das nun den Prinzen gefunden hatte. Ich tanzte meine Füße wund. Dann verstummte die Musik. Zum Abschluss regnete es noch rote Rosen von den Logen herab auf das »Fußvolk«.
Zu Hause ließ mir mein Freund ein duftendes Entspannungsbad. Dann ließen wir unser Ballerlebnis mit sanften Zärtlichkeiten im Bett ausklingen.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2025-02-13