Wiener Romantik #1: Rhinitis & Riesenrad

Michi Braun

von Michi Braun

Story
Wien Prater

In Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“ trifft ein junger Bursch vom Land im Wiener Prater das böhmische Madl seiner TrĂ€ume, das er daraufhin mit einem Satz erobern möchte, der von mir unmittelbar nach seiner LektĂŒre zum absolut entzĂŒckendsten AufreißsprĂŒcherl aller Zeiten gekĂŒrt wurde und mein romantisch pulsierendes Wiener MĂ€derlherz immer ein Eutzerl höher schlagen lĂ€sst:
„Guten Tag, ich heiße Franz Huchel, komme ursprĂŒnglich aus dem Salzkammergut und möchte mit ihnen Riesenrad fahren!“

Seit ich diese Zeile gelesen hatte, trĂ€umte ich davon, dass mir eines Tages ein charmanter junger Herr den selbigen Satz (natĂŒrlich adaptiert auf Name und Herkunft) an einem lauen FrĂŒhlingsabend im Prater zur BegrĂŒĂŸung schĂŒchtern lĂ€chelnd entgegensĂ€uselt und mich danach in eine Riesenradkabine geleitet, wo wir gemeinsam sowohl dem Scheitelpunkt des Riesenrads wie auch dem siebten Himmel entgegenschweben.
In Wien is das halt nur leider so eine Gschicht mit der TrÀumerei: Die RealitÀt lauert oft ums Eck, nur um dir dann im richtigen Moment eine Gnackwatschn zu verpassen.

Und so war das dann halt auch bei mir: TatsĂ€chlich hat sich eines Tages ein junger Herr zum SatzsĂ€useln und Riesenradfahren gefunden und nach unzĂ€hligen elektronischen Brieferln, in denen die intellektuelle und schmĂ€htechnische KompatibilitĂ€t eingehend in der Theorie getestet wurde, hat man sich in der Praxis auf ein frĂŒhsommerliches Rendezvous am Riesenradplatz geeinigt.
Blöd nur, dass mir genau an diesem Tag ein ausgewachsener Schnupfen vergönnt war und ich nach bereits erfolgter Terminverschiebung nicht noch einmal fĂŒr Verzögerung sorgen wollte, weil man mir ja sonst am End noch VergnĂŒgensverweigerung oder Flirtflucht unterstellen könnte. Was also macht FrĂ€ulein in so einer Situation? Man klescht sich das Kopferl ordentlich mit pharmazeutischen Zuckerln zu, versucht die wundgeschneuzte Nase mit einem entzĂŒckend breiten LĂ€cheln zu ĂŒberstrahlen und hofft aufs innigste, dass die alles verzehrende Akutromantik beim ersten Treffen der Blicke sowieso ĂŒber jeden Zweifel und Schnupfen erhaben sein wird.

NatĂŒrlich kam alles ganz anders: In meinem Kopf hatte sich mein Lieblingssatz immer so zauberhaft perfekt angehört – in der RealitĂ€t war das GesĂ€uselte kaum hörbar und mein Rendezvouskumpane so dermaßen schweigsam, dass ich wie eine Horde topmotivierter Animateure stĂ€ndig darum bemĂŒht war, die Stimmung hoch und das GesprĂ€ch am Laufen zu halten. Nur war das einzige was eifrig am laufen war, meine beleidigte Nase.
Als wir die schier nicht enden wollende Riesenradrunde des Grauens endlich beendet hatten, gings weiter mit Liliputbahnstille und Schweizerhausschweigen.

Nach 2 KrĂŒgerln böhmischem Bier rang ich gleichermaßen nach Worten wie nach Luft und hatte die Nase endgĂŒltig voll. Vom Schnupfen. Und von der RealitĂ€t, die mich grad ordentlich abgewatscht hatte.

Tja, die Liebe is halt wie eine Riesenradfahrt: Amoi auffe, amoi owe.

© Michi Braun 2020-08-31

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Komisch
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