Wilde Tänze

Lara Farla

von Lara Farla

Story

Zweiter Wunsch an meine Fee: Anita Berber sehen. Was für eine Frau muss sie gewesen sein in einer wilden Zeit: Tänzerin in Berlin der 20er Jahre!

Sie hat ihr Leben in allen Facetten gelebt – frei, exzessiv, skandalös, wie ein Rockstar jener Zeit. Nicht mal 30 Jahre ist sie geworden und dann raffte sie Tuberkulose nach zu viel Drogenkonsum dahin.

Und zack kam die gute Fee und ich sah Anita nackt bei einem ihrer Auftritte im Berliner Wintergarten-Varieté, was bis heute noch existiert. Es war ziemlich faszinierend. Sie bewegte sich ekstatisch und leidenschaftlich, Frauen und Männer verfolgten gebannt ihre Show! Danach durfte ich sie backstage in ihre Garderobe begleiten. Sie sprach nicht viel, nahm eine Line Kokain und bot mir Cognac an. Nachdem sie sich einen Smoking angezogen und geschminkt hatte, zogen wir weiter ins Eldorado in Schöneberg. Das war mir ja schon von meiner Zeitreise mit Christopher Isherwood bekannt! Doch jetzt hatte ich Anitas Brille auf. Sie war etwas dreckig, Spuren von Koks klebten daran, etwas be- und angeschlagen war sie auch. Ich sah trotzdem alles wie unter einer Lupe, Anitas Monokel.

Die Menschen in diesem Etablissement – viele Bohemiens – wollten, wie Anita, das Leben feiern, ohne an die Zukunft zu denken. Ich sah Christopher mit einem Freund und winkte, er nickte lächelnd. Ob er sich an unser Treffen erinnerte oder war er nur höflich? Doch Anita holte mich aus meinen Überlegungen. Sie hatte wohl einen Streit angefangen und prügelte sich mit irgendwem. Die Nacht endete abrupt, wir wurden rausgeschmissen und ich suchte ein Taxi, was uns nach Hause brachte. Sie wohnte mit ihrem dritten Ehemann, dem amerikanischen Tänzer Henri Hofmann in der Zähringerstrasse in Berlin-Wilmersdorf.

Es war wahrscheinlich besser so, sie hatte morgen einen Filmdreh. Oder gingen sie zusammen auf Tournee? Ich weiß es auch nicht mehr und am nächsten Morgen wachte ich verkatert in meiner eigenen Wohnung im Hier und Jetzt auf. Ein kurzer Einblick in Anitas Leben und schon hatte ich Kopfschmerzen! Wie muss sie sich gefühlt haben, getrieben von ihrer ungezähmten Lebenslust, die sich in ihrem sinnlichen, exotischen Tanzstil und hedonistischen bis selbstzerstörerischen Lebensweise äußerte?

Meine kurze Zeitreise hat mir nur einen kurzen Einblick gewährt, doch so richtig nachvollziehen kann ich sie und diese Zeit immer noch nicht! 100 Jahre ist es her und doch erscheint mir vieles wahnsinnig modern und dem Zeitgeist des heutigen Berlins entsprechend. Ich betrachtete das Bildnis von Otto Dix, was heute auch ihre Gedenktafel an ihrem Berliner Wohnhaus ziert. Es zeigt ein verlebtes Gesicht mit abgrundtiefen schwarzen Augen. In deinen 29 durchtanzten Jahren hast du wohl mehr erlebt als viele in ihren längeren Leben, Anita. Danke Fee – für diese Einsicht!

© Lara Farla 2022-10-26

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