von Evelyn Weyhe
Der schnurgerade dunkle Wolkenstreifen kündigt ihn an: den von Surfern geliebten und von der lokalen Bevölkerung gefürchteten Levante, der in regelmäßigen Abständen die andalusische Atlantikküste heimsucht. Ein warmer Wind aus dem östlichen Mittelmeer kommend, Nordafrika streifend, sich seinen Weg durch die Meerenge bei Gibraltar bahnend, fegt er mit bis zu 140 Stundenkilometer über die herrlichen Sandstrände von Tarifa und Richtung Cadiz.
Für viele Menschen bringt er, ähnlich dem Föhn aus den Bayerischen Alpen, Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein mit sich. Die Selbstmordrate steigt, und bei einer Gerichtsverhandlung wird mit einbezogen, wenn zur Tatzeit der Levante geblasen hat.
Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez hat den Levante sogar in seiner Kurzgeschichte „Tramontana“ zum Thema gemacht. Er beschreibt darin die Wirkung des Windes, der Menschen in den Wahnsinn treiben kann.
An einem solchen Tag war ich mit den Hunden am Strand unterwegs. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich über den weiten weißen Strand. Trotz der Wellen nahm ich ein Bad in dem prickelnden, kühlen Atlantik. Die Hunde tollten im seichten Wasser und jagten die kleinen Strandläufervögel, die aufgescheucht sich jedes Mal in niedrigem Flug entfernten, um sich unweit wieder am Strand niederzulassen. Und wieder jagten die Hunde hinterher. Ein tolles Spiel!
Der Rückweg erwies sich als schwierig. Wir waren ziemlich weit gelaufen und mussten nun gegen den Wind zurück. Der Levante hatte ordentlich zugelegt und trieb den Sand vor sich her. Die feinen Sandkörner schmerzten an meinen Beinen und bereiteten den Hunden sichtliches Unbehagen. Ich hatte mein Strandtuch um den Kopf und halb über mein Gesicht geschlungen und kämpfte mich Schritt für Schritt vorwärts. Die Surfer und Kitesurfer kehrten aus dem Wasser zurück. Sonnenschirme trieben herrenlos an mir vorbei. Bald war kein Mensch mehr zu sehen. Die nächste Böe traf mich mit ungebremster Gewalt und riss mich fast von den Füßen. Ich bückte mich, um die Hunde festzuhalten. Mein Tuch wurde mir vom Kopf gerissen und segelte mit großer Geschwindigkeit davon. Keine Chance es einzuholen. Bedauernd sah ich es verschwinden, ich hatte es gerade erst auf einem Markt in Marokko gekauft und es zu meinem Lieblingstuch erkoren.
Der nächste Tag brachte Erleichterung. Der Wind hatte nachgelassen, nur eine Brise wehte. Wieder machte ich mich zu meinem täglichen Strandspaziergang auf. Unten am Meer war er noch zu spüren, der Levante. Kleine Sandteufel tanzten, und es war deutlich windiger. Etwas Sandfarbenes waberte auf mich zu, wurde noch einmal in die Luft gewirbelt und landete dann elegant neben mir in einem Busch. Wie ein Schleier ausgebreitet, die Silberfäden glitzerten in der Sonne, lag es vor mir: mein Strandtuch! Wo warst du, flüsterte ich in den weichen Stoff und vergrub mein Gesicht darin. Es roch nach Salz und Sonne und … Levante.
© Evelyn Weyhe 2020-05-24