Winter ade!

Reinhard Christian Pilz

von Reinhard Christian Pilz

Story

„Winter ade! Scheiden thut weh.“, so heißt es im Liedtext aus dem 19. Jahrhundert. Ursprünglich lautete der Titel „Winters Abschied“. Scheiden und Abschied, zwei zumeist negativ anmutend besetzte Wörter, die jedoch auch immer für Aufbruch stehen. Heuer lässt er sich etwas Zeit, der Frühling. Langsam steigt er empor, zeigt uns sein Gesicht in Fragmenten und lässt uns doch noch etwas zappeln.

Scheidungen gibt es wohl auch in den meisten Familien, Trennungen, Neuorientierungen oder wie auch immer man diese Änderungen des persönlichen Beziehungsstatus´ nennen mag.

Als ich ein Kind war, stand eine solche Veränderung auch in meiner Familie im Raum. Kurzum, die Mitteilung erfolgte, wir wurden alle vor die Tatsache gestellt und so war es dann. Ich habe es rückblickend betrachtet nicht als rein negativ empfunden, nein, es war eine Tatsache, auf die ich keinen Einfluss hatte, auch nicht das Bedürfnis danach verspürte, welchen haben zu wollen. Es war einfach, es war.

Meine Großeltern wurden damit konfrontiert, suchten nach Möglichkeiten damit umzugehen, darauf zu antworten; jedoch wurde überhaupt eine Reaktion von ihnen verlangt? Mein Großvater biss noch einmal von seinem Schinkenkäsetoast ab, trank einen Schluck seines Russischen Tees mit Milch und einem Schuss Rum und schluckte das Zerkaute bedächtig hinunter. Diese Schinkenkäsetoasts waren legendär, sie waren ein verbindendes Element. Ich erinnere mich so eindringlich daran, als würde ich gerade dortgesessen haben. Cousins und Cousinen versammelten sich in der großelterlichen Küche, es war warm, das kleine „Guckerl“ beim rechten Fenster, das mein Opa zum Lüften eingebaut hatte, stand offen, wären wir sonst verschmachtet, hatte man das Gefühl. Der Hunger wuchs, jedoch ließ sich mein Großvater nicht davon abbringen in aller Ruhe das Prozedere des Kochens bis zum Enderfolg durchzuziehen. Und das Ergebnis? Was soll ich sagen?!

Trotz großem, eigenem Talent auf der Toastmacherebene, gelingt mir heute lediglich ein annäherndes Ergebnis, das aber zumindest den Geschmack des Ursprünglichen stets in Erinnerung ruft. Wir wurden versorgt, stürzten uns gierig auf das Essen und erfreuten uns der kulinarischen Explosion in unseren Mündern. Zuletzt war es an den Großeltern zu essen. Die Familie versorgt; erst dann wird selbst gegessen. Und so war der Bissen unten und mein Opa meinte: „Wenn dir was nicht gefällt, musst du es nur lange genug anschauen“. Ich konnte die Botschaft damals nicht deuten, was meinte er damit? War es Hartnäckigkeit, Beständigkeit, Treue? Was sollte dadurch ausgedrückt werden?

Ein weiterer Bissen folgte. Alle waren wirklich satt geworden. Wir nahmen allmählich Abschied voneinander. Es war ein zutiefst unterschätzter Abend. „Winter ade! Scheiden thut weh.“ Lassen wir doch den Frühling in unsere Herzen einziehen. Und vielleicht „thut“ es ihm das Wetter bald gleich.

© Reinhard Christian Pilz 2021-05-23