von Katharina Hopp
Das Gefühl winziger Hautfetzen, die sich in Satinoberfläche verhaken. Das ist es, woran ich mich erinnere, wenn ich an unsere letzte Begegnung denke. Meine Hände waren so trocken geworden, über den Winter, dabei habe ich oft und gern Handschuhe getragen. Mit Handschuhen ist man eine Katze, lautlos und elegant. Ich hoffte, du könntest dieses raspelnde Geräusch nicht hören und gleichzeitig schalt ich mich für den Gedanken, denn die Musik übertönte sogar die Paukenschläge meines Herzens. Mein Körper schien es an den seltsamen Kerben in deinem Gesicht, dem schuldigen Schleier über deinen Augen, deinen kaltnass zitternden Fingern ablesen zu können, noch lange bevor ich begriff, in was ich da las.
Deine Blicke huschten zwischen mir und Lotte hin und her, wie Igel zwischen unbeleuchteten Straßen, kaum begreiflich. Niemals ruhten sie länger auf einer von uns beiden, du zwangst dich, weiterzufliegen und so machtest du deine gezwungene Natürlichkeit unnatürlich. Lotte kannte ich noch länger als dich, sie war es, die uns beide zu diesem Tanzkurs überredet hatte, der in einem Satinkleid und deinem vorher so glatten jetzt plötzlich knittrigen Anzug endete. Ihr hattet Sekt geholt, sehr lange, „die Schlange“, habt ihr im Chor mit den Schultern gezuckt.
Im Gegensatz zu dir sah Lotte immerzu nur mich an, ich lachte und der von den Deckenlampen angeleuchtete Sekt glänzte in unseren Händen wie Lampions an Sankt Martin. Lotte hatte ein paar blassrosa Flecken auf den Schlüsselbeinen und an den Wangen, solche, die ich das erste Mal in der zehnten Klasse an ihr gesehen hatte, als sie ein Referat über Verhütungsmittel halten musste. Sie bemerkte, dass ich sie bemerkte und umschlang schützend mit den Händen ihren Hals. Mit Augen, wie Kinder sie bei Fieber haben, entschuldigte sie sich und ich wusste einen Moment lang nicht wofür, dann beeilte Lotte sich zur Toilette.
Du zogst mich eine Treppe hinauf und meine Haarnadeln aus der hochgesteckten Frisur und hier, weg von der Musik, weg von Lotte, konnte ich unser beider Atem hören. Deine Augen waren auch fiebrig und ich legte eine raue Hand auf deine Stirn, aber sie war so kalt, dass ich mich erschrak, so kalt, wie das Geländer an dem ich mich jetzt festhielt. Du hast mich geküsst und mein Herz fiel aus, wie Maschinen ausfallen. Es ahnte, dass es das jetzt war, dass du es gleich zerreißen würdest, wie andere Papier zerreißen. Als es vorbei war, warst du es, dem die Fassung abhanden kam und ich weiß nicht, warum ich dich tröstete, dein sanftes Gesicht in meine trockenen Hände nahm. Ich glaube, ich liebte dich doch mehr als ich dir und Lotte eingestehen konnte.
Meine trockenen Hände kratzten über deine Wangen und schienen dich festhalten zu wollen, mit ihren Widerhaken, aber deine Tränen lösten sie.
© Katharina Hopp 2021-03-26