von TintaJoyce
Die Sekretärin der Firma rief mich an: Gehaltspfändung von Edgar Schrotz! Ich habe in meiner Naivität alle Fristen des Widerspruchs versäumt. Er will mich zerstören.
Meine Tage bestehen nur noch aus Packen, Verschenken und Wegschmeißen. Acht Pakete hab ich per Post aufgegeben. Es scheint endlos.
Zwischendrin war Jakobs dritter Geburtstag. Sein Halbbruder Elias kam auch. Mit Mama Manja.Wir verstehen uns.
Die Möbel waren schon alle weg. Auf der Treppe bereiteten wir uns ein Picknick mit Blick auf die Felder und den Nachbarhof. Es gab Rosinenkuchen und Kakao. Als wir sie zum Bus brachten, schob ich beide Jungs auf dem Rad. Die große Holzlokomotive von Jakob, als Andenken für seinen Bruder, im Schlepptau.
Wir winkten bis der Bus verschwunden war.
Es ist Nacht. Habe wie eine Verrückte geschrubbt. Meine Hände sind rau. Es sind vierzehn Gepäckstücke.Auf meiner „Air Berlin Silvercard“ habe ich zwar Übergepäck angemeldet, allerdings nicht so viel. Wir schlafen diese letzte Nacht auf dem Boden, auf einer Matte. Ungewohnt hart. Hoffentlich klappt alles mit dem Taxi und dem Flughafen. Manon wird dort sein. Ich habe einen ganzen Schwarm Schutzengel bei mir. Manon hat alles im Griff. Sie hat den Herrn von der Air Berlin hypnotisiert. Nach einigem Hin und Her hat alles geklappt, bis auf zwei Koffer. Unglaublich. Zwölf Gepäckstücke ohne einen Cent Übergepäck.
Dann wurden wir mit Dringlichkeit aufgerufen: „Bitte kommen Sie umgehend zur Security!“
Die Batterien waren noch in der Taschenlampe. Sicherheitsbestimmungen! Den Riesenbären unterm Arm bestiegen wir als Letzte die Maschine. Der Umzug hatte begonnen. Nach fünfstündigem Schlaf landeten wir in unserer neuen Heimat Lanzarote.
Das Meer glitzert mehr als sonst. Es riecht nach Abenteuer. Jakob weicht mir nicht von der Seite.Freunde erwarten uns, mit ihrem strahlenden, braun-gebrannten „Willkommen!“ Die Koffer verteilen wir auf drei Wagen. Mein rotes Fahrrad ist platt und Roswitha mit dem Bungalow-Schlüssel nicht da. Ich erreiche sie per Handy.
„Melanie, es ist etwas ganz Furchtbares passiert, du musst sofort kommen.“ Kaum angekommen, schlackern mir die Knie: Unser neues zu Hause hat sich wieder in Luft aufgelöst. Roswitha hat sich mit dem kanarischen Vermieter völlig zerstritten. Es gab leider kein Einlenken.
Jakob singt und tanzt und planscht in der grünen Schüssel. Zwei Wochen können wir in einem von Roswithas Apartments an der Costa Teguise bleiben. Den Windsurf-Worldcup haben wir vor der Nase. Insider würden uns beneiden. Ich genieße die Farben ihrer Segel, wie wendig und schnell sie sind. Hier sitze ich im Liegestuhl und schaue einfach nur aufs Meer. Die Koffer kann ich nicht auspacken. Erst muss ich eine richtige Wohnung finden. Der Umzug hat meine ganze Kraft gekostet. Fünftausend Euro hat Pa für mich aufgenommen. Das wird Ma mir ewig vorrechnen.
Norbert kümmert sich nicht um uns. Edgar wollte uns nicht fliegen lassen. Hatten besonderen Zivilschutz am Flughafen.
© TintaJoyce 2021-05-05