Wir sehen was, was du nicht siehst

Oliver Fahn

von Oliver Fahn

Story

B. ängstigt Zulauf. Fans hatte er nie. Bekannte, angeheiratete und genetisch Verwandte. Das schon. Vor solchem Gesindel graut B. Vor Leuten, deren Einladungen er mögen soll. B. schwankt. Zwischen schmuckloser Ehrlichkeit und vorgegaukeltem Bindungswillen. In seinem Rachen quillt Nulltoleranzrhetorik. Die muss B. zivilisieren. Heuchelei wird zum dünnen Faden. Beim „Tun als ob“ hat sich eine Müdigkeit eingeschlichen. Despektierlichkeiten als Befreiungsaussicht aus gesellschaftlichen Ketten werden ihm zunehmend vorstellbar. Die Umgebung via Kahlschlag mundtot zu machen, täte B. gut.

Neuen Nachbarn setzt B. Thujen so zeitig an den Gartenzaun, dass die Pflanzung von deren Einzug unabhängig erscheint. Verdachtsentkräftigungen und Gesellschaftsverträglichkeitssimulationen zerstören B. Er ist ausgepowert von zwischenmenschlichen Belanglosigkeiten, überstrapaziert vom Ungetüm des Homo sapiens. Sein Ohr ist eine Mülltonne für verbalen Schutt. B. gleicht in Interaktionen einem Schuhabstreifer.

Den 80sten seines Schwiegervaters musste B. aus unplausibelsten Gründen absagen: Überforderung durch Gesellschaftsdisziplin. Richtlinien der Umgebung begraben seine Ideale. Nerven sind nurmehr freiliegende Stränge, die sich zum labilen Gemüt bündeln. B. lauert. Einmalige Zusagen sind Freibriefe für endlosen Einladungsverkehr. Sie festigen den Glauben des Einladers, B. sehe sich imstande, sozial zu agieren. Diese Irrung muss er erschüttern. Anstand verbietet B., seine Unerreichbarkeit für gesellschaftliche Belange zu illustrieren. Zudem schwächt B. ein diffuses Körperschema. Ständig steht er neben sich. Das verhindert Vermittlungsgeradlinigkeit. Er driftet im Kanal schwammiger Ausdrücke mit Hang zur Brachialrhetorik. Seine Körpergrenzen sind Ortschaften nach einem Tornado. Verwüstet bis zur Unkenntlichkeit.

Bisweilen kontert B. Einladungen. Gegen sein Naturell erhält B. das System von Einladung und Erwiderung. B. müsste den Grad der Vernachlässigbarkeit von Treffen ohne Verletzungstendenzen vermitteln können. Absagetelefonate dürfte kein Wankelmut eintrüben. B. müsste sich von der Neigung zu Zugeständnissen verabschieden. Stimmversagen bei Höflichkeitsfloskeln wäre ein B. zuarbeitendes Szenario, die Vernichtung seiner Geselligkeitsbejahung ohne aktive Operation absolut wünschenswert. In B. brodelt Menschheitsekel. Ein Abwehrbedürfnis gegen Substanzlosigkeit.

B. will die fade Suppe von Horoskopmonologen und Wetterprognosen zurückweisen lernen. Kann B. bei nächster Fete einen authentischen Hexenschuss imitieren, unvermittelt davonhumpeln, einen dauerhaft selbsterklärenden Ausschluss von Treffen erwirken? Darf angebliche gesundheitliche Not Aufbrüche legalisieren? B. ist ein gerngesehener Gast, da unerfüllte Fluchtillusionen eine ihm bislang entgangene Komik bergen. Wird B. jene Sadisten eines Tages als seine Fans begreifen?

© Oliver Fahn 2022-05-01

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