Wir sind alle Sternenstaub

Susanne Wolfsohn

von Susanne Wolfsohn

Story

Droben am Blasenstein im Waldviertel gibt es einen Felsen, der einen kleinen länglichen Spalt aufweist. Der Stein steht mitten in einer kleinen Ortschaft namens St. Thomas am Blasenstein. Man erreicht ihn über einige Steinstufen und hat von dort oben eine fantastische Aussicht.

Der Sage nach konnte man jegliche Krankheit verlieren, wenn man sich durch den sehr schmalen Spalt in dem massiven Steingebilde durchzwängen traute.

Ich wollte mich durchtrauen, aber es war zu wenig Zeit. Ich wurde nervös, weil ich wusste, dass andere auf mich warten, dass auch andere dieses Ritual machen wollten. Ich hätte mehr Zeit gebraucht, um mich zu trauen, auszuprobieren, welcher Körperteil sich wo am Stein entlang drängen hätte müssen, um diesen Spalt zu bezwingen – um mich zu bezwingen – um meine Angst zu bezwingen.

Dann hätte ich ein großes Gefühl des Glücks gespürt, hätte mich selbst gelobt und das Gefühl gehabt, etwas Neues in meinem Leben gewagt zu haben, mich und meine Angst überwunden zu haben.

Danach wäre ich voll Glückseligkeit auf die Bank gesunken, hätteim Sonnenlicht geradeaus gesehen, in den Himmel gestarrt, die Luft eingeatmet, die Stille gehört. Den leichten Wind auf meiner Haut gespürt, alles um mich herum vergessen.

Ich würde hunderte von Jahren dort sitzen und Kinder würden zu mir kommen, mich antupfen und staunen, dass ich noch lebte und mich fragen. Was ich denn hier tue. Und Vögel würden in meinen Haaren Nester bauen und Eier hineinlegen und ausbrüten und neues Leben würde entstehen.

In meinen Kleidern würden sich Samen von Königskerzen und Ringelblumen und Vogelmiere und Gundelrebe und Veilchen festsetzen und wachsen und blühen und verblühen und Samen würden aus den getrockneten Blüten fallen, in meine Kleider und den Kreislauf fortsetzen und wieder blühen.

Viele Generationen waren vor mir – ich bin ein Teil davon. Und jetzt gibt es Einen, der den Kreislauf meiner Nachfahren fortsetzt – den Kreislauf des Lebens weiter laufen lässt. Noch winzig klein trägt er den Samen der Generationen in sich, aus denen ich entstanden bin.

Mir fällt der Satz ein: „Wir sind alle Sternenstaub“. Ich habe ihn zuerst nicht verstanden, nicht erfassen können. Jetzt, da ein Kind – mein Enkel – geboren wurde, kann ich erkennen, dass es wahr ist!

Wenn ich dort bei dem Stein geblieben wäre, dann würde diese Geschichte nicht entstanden sein. Also bin ich gegangen, ins Auto gestiegen, hierhergefahren und habe diese Geschichte geschrieben. Für mich und für meinen Enkel. Meinen ersten Enkel Jamie.

© Susanne Wolfsohn 2019-07-17

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