Wir Straßenkinder von Anzenhof

Margit Schinerl

von Margit Schinerl

Story

Das ehemalige Bergwerksdorf hatte einen “Berghaufen”, ein Überbleibsel aus der Zeit, als Kohle abgebaut wurde. Die schwarzen, staubigen Schlickablagerungen, am Dorfrand gelegen, waren mit der Zeit verlassen und verwildert, überwuchert von Sträuchern und Birken. Einige Wohnhäuser mit dem Bergwerkszeichen, zwei überkreuzten Hämmern, gibt es auch noch heute, in einigen Nachbardörfern gab es weitere solcher schwarz-grauer Berge.

Ich erinnere mich an meine frühe Kindheit, als die Jugendlichen “am Berghaufen” das Sonnwendfeuer veranstalteten. Organisiert wäre nicht der passende, in jener Zeit nicht gebräuchliche Ausdruck. Eine gewisse Magie hatte er, “der Berghaufen”, verbrachten ja nur die Jugendlichen dort ihre Nachmittage, vielleicht auch Abende. “Die Jugendlichen”, die damals meist nur aus männlichen Wesen bestanden. Was die weiblichen Jugendlichen wohl machten ….? Was aber machten die Burschen dort? Sicher rauchten sie, dort mussten sie es nicht heimlich tun. Und sicher wurde die eine oder andere Bierdose geleert. Von Lagerfeuern wurde berichtet und von selbst gebauten Baumhäusern. Ach, wie aufregend!!

Ward einmal von der einen oder anderen Dorfbewohnerin ein Mädchen gesehen, das in Richtung Berghaufen ging, vielleicht auch begleitet von ein paar Burschen, dann wurde genau beobachtet, wann es wieder heim ging. Noch am Nachmittag, oder schon in der Dämmerung? Welche in den Sommermonaten ja später einsetzte… Je später es zurückkam vom Berghaufen, desto schlimmer. Desto schlimmer für das Mädchen, das bald als “Flitscherl” verschrien war.

Irgendwann war aber auch für mich die Zeit reif für den Berghaufen. Wir waren ein paar Mädchen und Burschen, mit unseren Radln – ich hatte ein “Minirad” – waren wir nachmittags „nach der Aufgabe“, unterwegs. Es war wichtig, dass erst alles für die Schule erledigt war, erst dann durfte ich mit zu den anderen. Wir waren sicher noch zu jung für diese Abenteuer, die die Dorfjugend erlebte. Allein, in das “verbotene Gebiet” uns vorzuwagen, war Aufregung genug! Für mich eröffnete diese Freiheit eine Reise in die Phantasie der romantischen Vorstellungen.

Meine Eltern, vor allem meine Mutter, waren meinen nachmittäglichen Aktivitäten nur insofern aufgeschlossen, als dass ich draussen und mit anderen Kindern war. “Der Berghaufen” war auch mit Dreckigwerden von Gewand und Schuhen verbunden und damit, dass sich die „ordentlichen” Kinder dort nicht aufhielten. Ich war immer eine gute Schülerin, also eine Brave, und somit hatte ich am Berghaufen nichts verloren. Es war äußerst wichtig, ja nicht zu spät wieder heimzukommen, und zwar von selber, ohne dass ich gerufen werden musste.

“Ihr seid ja keine Straßenkinder”, ein Satz, an den ich mich später oft schmunzelnd erinnerte! Hat er doch eine andere Konnotation als meine Mutter es damals meinte. Und trotzdem bin ich ihr sehr dankbar für die Übermittlung ihrer Werte.

© Margit Schinerl 2022-04-27

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