Wir waren eingesperrt

Herbert Schieber

von Herbert Schieber

Story

Vor etwa vier Jahren ruft mich meine Nichte an. „Habt ihr Lust mit uns ‚Exit the room‘ zu besuchen!“ Ich habe bis dahin noch nichts davon gehört. Sie erklärt uns, dass man dort in einen Raum gesperrt wird. Drinnen sind dann Rätsel zu lösen, damit man einen Code bekommt, um die Tür wieder öffnen zu können. „Ja, gerne!“ Man sollte aber keine Angst vor geschlossenen Räumen haben, sowie Kombinationsgabe und ausreichend Hirn mitbringen.

Ich reserviere online einen der fünf zur Auswahl stehenden Themen-Räume bei ‚Exit the room‘ in Wien. Der ausgewählte Raum liegt im mittleren Schwierigkeitsbereich.

Der Tag der Wahrheit. Die erste Hürde ist geschafft! Wir haben nach längerem Suchen endlich den Eingang im Keller eines Altbaus gefunden. Dort empfangen uns zwei Nebenjob-Studenten. „Grüß euch! Ihr seid angemeldet?“ „Ja, fünf Personen.“ Das sind Nichte mit Gatte, unser Sohn, meine Frau und ich. Bei der Unterweisung erfahren wir, dass uns im Notfall die Studenten die Tür öffnen. Wir bekommen noch ein Funkgerät. „So! Ihr seid jetzt dran!“ War das eine Drohung? „Ihr habt 1Stunde Zeit. Die Rekordzeit liegt bei 24Minuten!“, motiviert uns auch nicht.

Eine Tür öffnet sich. Wir betreten den Raum. Hinter uns fällt die schwere Eisentür ins Schloss. Im Licht einer Glühbirne sehen wir einen Kasten, ein Fernsehgerät, ein Bild und einen kleinen Tisch mit Büromaterial. Auf einer Kommode liegt noch ein undefinierbares Spiel. Sonst nichts, kein Fenster! Während sich die jüngeren Teammitglieder auf die Suche nach Hinweisen machen, habe ich andere Gedanken. Hätte ich den Studenten schon vorher ein Trinkgeld geben sollen? Was ist, wenn sich die in der Zwischenzeit beim Wirten ein Bier holen gehn? Oder wenn beide in der nächsten halben Stunde ihren Nebenjob kündigen? 6Minuten sind schon um. Was soll’s! Ich beginne mich auch an der Suche zu beteiligen.

„Dieses Teil lässt sich bewegen.“ „Da schau. Da ist ein Hinweis zu einem Schlüssel.“ „Ich hab ihn.“ „Er passt. Da ist ein neuer Hinweis.“ „Ja, die erste Zahl des Codes.“… Toll die Kombinationsgabe von Nichte, Schwiegerneffen und Sohn. Aber 17Minuten haben wir schon verbraucht. Ich zeige auch Ehrgeiz, nehme eine der farbigen Folien vom Tisch, schiebe sie über die Wände und hoffe, dass dadurch eine Geheimschrift sichtbar wird. Nichts! Unsere jungen Kriminologen haben währenddessen einen Schlüssel für die Tür zu einem Nebenraum entdeckt. Dort geht es weiter. Nach 33Minuten werde ich endlich gebraucht. Die Nichte hat versehentlich einen Tischtennisball in ein Rohr gesteckt. Der muss wieder raus, den brauchen wir. Nur noch 16Minuten bis zur vollen Stunde. Hektik macht sich breit! Unsere Sherlock Holmes ermitteln auf Hochdruck. Endlich! Nach 57Minuten haben wir die vier Zahlen für den Code.

Wir geben sie ein. Die Tür öffnet sich… nicht. Panik! Her mit dem Funkgerät. „Ihr da draußen! Die Tür geht nicht auf!!!“ „Probiert es nochmal. Ihr habt euch vertippt.“ Noch ein Versuch. Die Tür geht auf. Geschafft!

© Herbert Schieber 2019-12-14