von lavoce
Heute betrat ich, mit einem Einkaufswagen bewaffnet, meinen Lieblingssupermarkt. Bereits nach ein paar Schritten fühlte ich mich beobachtet. Mein Blick schweifte durch die Gänge, blieb an einem Mann hängen. Selbiger starrte mich an. Unverfroren. Ungeniert.
Ich glotzte zurück. Versuchte meine Glubscher schärfer zu stellen, was ohne Drahtgestell auf der Nase und Kontaktlinsen, die lustig zu Hause auf der Kommode in ihrer Flüssigkeit schwammen, etwas schwierig anmutete. Schließlich gab ich auf und widmete mich Wichtigerem: meinem Einkauf.
Ein paar wunderbar unbeobachtete Momente später erreichte ich die Kasse und fand mich direkt hinter besagtem männlichem Geschöpf wieder. Möglichst unbemerkt versuchte ich meine Waren auf das Band zu befördern, als sich der Kerl langsam, wie in Zeitlupe, umdrehte und mir mit einem Meter Abstand direkt in die Augen sah. Ich blickte zurück und aaaahhh! Ich kannte den Mann. Gut. Eventuell sogar sehr gut. Die Frage war nur: Woher? Und wer war das? Ich durchforstete meine leicht angegrauten Gehirnzellen. Das Ergebnis war ernüchternd. Sie wollten mir keinen Namen, keinen Ort, nicht den geringsten Anhaltspunkt ausspucken.
In der Zwischenzeit konnte man unserem gegenseitigen Hin- und Hergestarre einen gewissen Peinlichkeitsfaktor nicht absprechen. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, brachte ich ein zaghaftes „Hallo“ über die Lippen. Das Gesicht meines Gegenübers erhellte sich und er antwortete mit einem sehr freundlichen „Hallo“. So weit. So ungut. Mein Gehirn, das noch immer äußerst uneffektiv auf Hochtouren arbeitete, drohte jeden Moment aufgrund von Überbeanspruchung zu platzen. Wie blöd konnte ein Mensch sein? Ich war mir nun zu 99 Prozent sicher, dass ich mit besagtem Geschöpf bereits des Öfteren getratscht hatte. Nur wo? Wieso? Und wer um Himmels willen war das? Ein flüchtiger, ein guter oder sogar ein sehr guter Bekannter?
Während mein Oberstübchen weiter übereifrig vor sich hinratterte, verließ Mister (Un-)Bekannt den Laden. Ein paar Minuten und einige durchgebrannte Gehirnsynapsen später schleppte ich meinen Einkauf in die Wohnung. Kurz darauf betrat ich das stille Örtchen. Unterschätze nie die Oberstübchen erhellende Wirkung eines Häusls, denn genau da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Nur gut, dass mich hier keiner sehen konnte. Ich schämte mich. Schämte mich abgrundtief. Klomuschelabgrundtief. Der vermeintliche Unbekannte entpuppte sich als niemand geringerer als der Hüttenwirt unserer Lieblingsskihütte.
Was musste der bitte von mir denken? Aber wieso trug der auch nicht sein übliches Steirergwandl. So leger, in Allerweltskleidung, quasi inkognito, konnte ich den doch gar nicht wiedererkennen. Dass er mich trotz fehlendem Skigewand sofort identifiziert hatte, verdrängte ich geflissentlich.
Nur gut, dass die Skisaison bereits zu Ende ist. Jetzt hab ich ein paar Monate, um mir eine gute Ausrede einfallen zu lassen. Aber vielleicht hab ich ja Glück und der gute Mann ist genauso wirr im Kopf wie ich …
© lavoce 2023-05-09