Wo der Balkan beginnt

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

August 1970. Mein erster Besuch in Wien. Mit meinen Brüdern und deren Freundinnen waren wir in der Früh losgefahren. Uns wurde allerhand geboten: Der Personenzug, gezogen von einer modernen, knallig orangerot lackierten E-Lok, bestand aus etwa einem Dutzend dunkelgrüner und herzig kleinen, zweiachsigen sog. Spantenwagen. Bei diesen war, – für uns eine besondere Attraktion – das Wageninnere über jeweils an den Stirnseiten des Wagens befindliche Plattformen zu erreichen. Toll, und wir wollten zunächst draußen mitfahren. Bald aber merkten wir, dass dieses zunächst antiquiert anmutende Verkehrsmittel recht flott auf 100 km/h beschleunigte und wir zogen es vor, uns im Wageninneren Sitzplätze zu suchen. Wirklich bequem waren die grünen Plastiksitze nicht und das ganze Ambiente im Resopal-Stil der 60er Jahre war eher trist – macht aber nichts! Die kleinen Wagen rumpelten und rappelten fleißig auf den Gleisen, was bei dem Tempo niemanden verwundern sollte. Nachdem alle Mitreisenden entspannt ihre „Krone“ lasen, konnten wohl auch wir gelassen bleiben.

Das nächste Ereignis war die Tram der Linie D, von den Wienern liebevoll als „D-Wågn“ bezeichnet. Dieser quert auf seiner Fahrt fast ganz Wien vom Südbahnhof im Süden bis nach Nussdorf im äußersten Norden. Und die alten Straßenbahnen sahen für uns schlichtweg phantastisch aus. Mehr und mehr kamen wir zur Überzeugung, dass ganz Österreich in verkehrstechnischer Hinsicht einem riesigen Themenpark wie „Disneyland“ glich. Hier nun stand ein besonders schmuckes Exemplar der Baureihe M mit Beiwagen zur Abfahrt bereit und wir bestaunten diese historische Garnitur aus den 1930ern. Kein Museumsstück, sondern im realen Alltagseinsatz.

Wir stiegen ein, und blieben auf der Plattform, um so die Stadt besser sehen zu können. Jetzt, ein helles „BIM“ und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Faszinierend … und da!!!! Schaut! Fast hätten wir das Obere Belvedere übersehen, da fuhr doch tatsächlich ein rot-weiß lackierter Stockbus der Marke Gräf & Stift. „Linie 13! Den Bus müssen wir unbedingt auch noch ausprobieren.“ Wie die Freundinnen meiner Brüder nun über uns dachten, war uns ziemlich egal. Mit jedem Fahrschein eröffnete sich uns hier anscheinend ein höheres Paradies.

Ab dem Schwarzenbergplatz wurde es voll im Zug. Gedränge auch auf den Plattformen und ein phantastisches Sprachengewirr umgab uns. Da war serbisch, kroatisch und sonst vieles, was nach Südosteuropa klingt. Wo genau eigentlich beginnt der Balkan? Metternich wusste es angeblich ganz genau: In Wien am Rennweg, unweit vom Schwarzenbergplatz. Dort steht sein Palais und beherbergt heute die italienische Botschaft.

Dem Stadtplan zufolge näherten wir uns jetzt der Uni: Um sicherzugehen, fragte ich den Schaffner: „Nächster Halt ist die Schottenstraße, stimmt‘s?“ Seine Antwort war recht wienerisch: „Mir håbm kå Stråßn net, mir håbm nua Gåssn do.“ Metternich hatte nicht immer recht, doch manchmal eben schon.



© Klaus Schedler 2019-06-04