Wo der Regen uns nicht erreicht (1)

Amy- Leanne

von Amy- Leanne

Story

Ich lag in seinen Armen, der Mond spendete uns Licht. Ich hob den Kopf und sah in seine dunklen Augen. „Ich werde jetzt gehen.“ Flüsterte er durch das Trommeln des Regens. Ich schüttelte den Kopf. „Bitte.“ Flehte ich, doch ich wusste, dass er sowieso gehen musste. Die Straßenlaternen beleuchteten sein Gesicht und ich sog seinen Anblick ein letztes Mal in mich auf. Dann drehte ich mich um und ging davon. Ich verließ die kleine Glaskuppel, an der der Regen abprallte. Die Tropfen liefen geschmeidig an ihr herab. Der Mond leuchtete lila durch das Glas und sobald ich die Tür öffnete, durchnässte mich der Regen. Ich spürte den Druck seiner Hand an meinem Arm. Er hielt mich fest. „Henry bitte. Ich kann das nicht, lass mich los.“ Schrie ich ihn an. „Ich verspreche dir, wir sehen uns wieder, okay?“ Ich hörte den Hauch an Verzweiflung, das kleine Zittern in seiner Stimme und biss mir auf die Lippe. „Das weißt du nicht.“ Entgegnete ich leise. „Doch, weiß ich. Ich bleibe am Leben, dass verspreche ich dir und dann sehen wir uns wieder, wo das Licht uns nicht sehen kann.“ Ich drehte mich um und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich erinnerte mich daran, wie er mich hierher geholt hatte. Ich treffe dich da, wo der Regen uns nicht erreicht, hatte er gesagt und jetzt standen wir hier und er gestand mir, in den Krieg ziehen zu müssen. „Ich hasse Dramatik, wenn man weiß, dass es sowieso nicht gut ausgeht.“ Sagte ich und ging. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, um neuen Tränen Platz zu machen.

Am Abend saß ich auf dem Sofa und sah dem Regen dabei zu, wie er vom Himmel fiel. Er konnte mir nichts anhaben, ich blieb trocken. Ob Henry auch im Trockenen stand? Am nächsten Abend rief ich ihn an, doch er hob nicht ab. Ein ungutes Gefühl beschlich mich und als ich auch am nächsten Morgen nichts von ihm hörte, lief ich verzweifelt los. Ich lief dahin, wo der Regen uns nicht erreicht hatte. Obwohl ich unter der Glaskuppel saß, spürte ich, wie nasse Tropfen über mein Gesicht liefen. Auch wenn es meine Tränen waren, nahmen sie diesem Ort das Versprechen, dass Henry ihm auferlegt hatte. Wo der Regen uns nicht erreicht, hatte er gesagt, doch meine Tränen fühlten sich an wie unerbittlicher Regen und mit jedem Abend, an dem ich durch die Glaskuppel den Mond betrachtete, verschwand das Versprechen ein bisschen mehr.

Ein Jahr später hatte ich noch immer nichts von Henry gehört und ich wusste, dass sein Versprechen, dass wir uns wiedersehen würden, genauso verpufft war wie das, dass der Regen uns in der Glaskuppel nicht erreicht. Im Schneidersitz saß ich auf dem Kuppelboden und blickte zum Mond herauf. Wie genau vor einem Jahr leuchtete dieser lila. Ich dachte an Henry, daran was er mir versprochen hatte. Mir kam der Gedanke, dass die Versprechen vielleicht doch nicht verloren waren, dass er sich vielleicht an sein Versprechen hielt. Schließlich hatte er gesagt, dass der Regen uns hier nicht erreichen würde. Vielleicht hatte er mit „wir sehen uns wieder“ gemeint, dass ich ihn wiedersehen würde, aber er mich nicht. Bei diesem Gedanken schossen mir erneut Tränen in die Augen und ich verließ die Kuppel, auch wenn das nicht gerade ungefährlich war. Noch regnete es nicht, doch ich wusste, dass es bald wie aus Kübeln schütten würde. Dunkelheit umhüllte mich und bald würde der Regen mich erreichen.

© Amy- Leanne 2024-01-08

Genres
Romane & Erzählungen