von Pascal Hoffmann
>Die Szene verschwindet, doch die Verzweiflung des Mannes bleibt spürbar in Ödipus‘ Bewusstsein haften. Die letzten Visionen haben ihn nachdenklich gemacht. „Was ist los?“, fragte die Sphinx. „Ich weiß nicht“, sagte Ödipus. Er sah langsam ein, was die Sphinx meinte. „Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist der Mensch mehr als nur fortschreitend. Aber kann meine Lösung auf das Rätsel nicht dennoch stimmen? Als Zusammenfassung?“ Die Sphinx lachte. Ihre Stimme wurde sanfter, aber weiterhin streng. „Ich sehe, was du meinst, aber auch das ist keine Möglichkeit. Du könntest auch schon wissen weshalb. Aber ich bringe dich erst mal auf schönere Gedanken.“ Und während die Worte der Sphinx langsam in Ödipus‘ Kopf verhallten, wurde es heller und eine neue Vision erschien. <
Lächelnd saß sie am Schreibtisch und schaute sich ihre Arbeit an. Eine ganze Woche hat es nun gebraucht, um die Fotos auszusuchen und das Fotoalbum fertigzustellen. Es ist tatsächlich das dickste, aber es war auch ihre längste Reise. Gedankenverloren schaute sie sich um. Alles erinnerte sie an Reisen. Ihre Pinnwand auf der linken Seite neben ihrem Schreibtisch war voll von Postkarten und Bildern, die in allen möglichen Ländern gemacht wurden. Rechts dagegen ist ein ganzes Bücherregal voller Fotoalben. Kein Moment wird vergessen werden. Kein Sonnenuntergang blieb nicht fotografiert, keine Idylle oder Schönheit eines Landes unentdeckt. Das ist ihr Leben. Ihr Beruf. Und ihre Berufung. Als Reisejournalistin ist sie hochgelobt was ihre Leidenschaft für die Entdeckung der Welt noch ein wenig mehr anspornt. Aber damit kommt nicht nur Gutes. Ihre Familie und Freunde bekommen sie kaum zu Gesicht und ein Zuhause zu finden war schier unmöglich. Ihr Zuhause war die Welt. Aber die Erfahrungen, die sie gemacht hat, waren es wert. Mit Delfinen schwimmen, zu den Riffen tauchen, mit Mönchen aller Religionen beten. Orte, an denen niemand ist, und Orte, an denen alle sind. Kein Weg ist zu weit und keine Reise zu lang. Viele behaupten, sie sei auf einer Suche. Nach sich selbst, nach einem Partner, nach einem Leben, das ihr gefällt. Sie lacht immer, wenn solche Theorien auf den Tisch kommen. Wenn sie sich selbst suchen würde, würde sie zur Therapie gehen, ist ihre Antwort darauf. Und die Erfahrungen, die sie macht, machen sie aus. Sie erweitert sich selbst, denn kein Ort ist wie ein anderer. Mit jedem Schritt in einem anderen Land, in einer anderen Kultur, lernt sie mehr dazu. Sie als Mensch wächst. Und ist das nicht auch das eigentliche Ziel? Der Weg? Während sie diese Frage im Raum stehen lässt, schaut sie wieder auf das Fotoalbum. Lächelnd schaut sie sich die Seiten an und kann sich keinen schöneren Moment ausmalen. Erinnerungen aufzufrischen ist immer noch das Schönste.
© Pascal Hoffmann 2022-08-29