Wo finde ich Weihnachten?

Barbara Fath

von Barbara Fath

Story

„Bitte gehe nicht weg, bleib noch. Magst du vielleicht ein Glas Wasser oder einen heißen Tee? Soll ich eine Musik einschalten? Okay, lieber nicht. Du hast ja recht, lass uns die Stille genießen. Du wirkst heute so nachdenklich, irgendwie traurig. Bist du traurig? Wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst. Ist dir kalt? Ich sehe, dass du zitterst. Komm, ich halte und wärme dich. Ich stell’ den Tee auf den Tisch. Ich hab die rote Tasse genommen, weißt du noch, wir haben sie im Vorjahr am Weihnachtsmarkt gekauft. Ich mag sie, weil sie so groß ist.

Du fragst, wonach es hier riecht? Es riecht nach Weihrauch. Dieser würzige, leicht zitronige Duft belebt mich. Hast du Hunger? Magst du Weihnachtskekse naschen? Bitte sehr, nimm nur. Gerne auch mehr, ich freue mich, dass sie dir so gut schmecken. Ich habe sie gestern gebacken. Diesmal sind sie gelungen, jahrelanges Üben hat sich endlich gelohnt.

Dein Zittern hat aufgehört, Ich lass´ dich nun los. Schön, wie warm du nun wieder bist. Das Feuer im Ofen geht bald aus. Ich gehe schnell nach draußen und hole Holz. Mach es dir gemütlich, ich komm´ gleich wieder. Ja, ich lass´ die Tür weit offen, damit frische Luft rein kann. Es hat wieder geschneit. Herrlich, wie der Schnee riecht. Ich hab´uns zwei Schneebälle mitgebracht. Hier, der große ist für dich. Ahhh, du legst den Schneeball auf deine Stirn. Das ist eine gute Idee, das mache ich auch. Ja, das fühlt sich erfrischend an. Das Feuer im Ofen ist nun wieder größer. Ich liebe das kräftige Orange der tanzenden Flammen. Wir könnten mehr Schnee holen, ihn auf den Ofen legen und zusehen, wie er schmilzt. Ich soll endlich still sein und dich wieder halten? Okay, ja, das mach´ ich.“

Wir sind still. Das Holz brennt und knistert vor sich hin, die Zeiger der Wanduhr drehen ihre Runden, ticktack, ticktack und irgendwo draußen bellt ein Hund.

Dann nehme ich deine Brille ab, binde deine Haare zu einem Zopf und sehe dich an. In deinen Augen sind kleine Funken zu sehen. Zarte Lichter, die langsam zu leuchten beginnen, zuerst wenig, dann immer kräftiger. Und plötzlich sagst du: „Weißt du, in der Weihnachtszeit wird das Besinnliche manchmal auch zu viel. Wenn es überall glitzert und wunderbar riecht und die Menschen Gutes tun und helfen wollen, wird das Schöne, weil einfach zu großartig, manchmal auch zu viel. Weihnachten macht fröhlich, manchmal auch traurig, denn neben der Freude gibt es einfach viel zu viel Leid. Diese Zeit beschenkt mich so zauberhaft und macht mich glückselig, manchmal macht sie mich aber auch sehr nachdenklich. Kannst du mich verstehen?“ „Oja, ich verstehe dich nur zu gut, danke, dass du darüber sprichst und deine Gefühle mit mir teilst. Wir sollten aufhören, so viel zu erwarten und verstehen lernen, dass wir Weihnachten ganz in uns selbst finden und wenn wir es schaffen, unseren Zauber an andere weiterzugeben, dann gelingt Liebe.“ „Draußen ist es finster geworden, hast du Lust auf einen Spaziergang im Neuschnee?“

Wir ziehen uns warm an und bevor wir das Haus verlassen, löse ich meinen Zopf, setze die Brille wieder auf und werfe einen Blick in den Spiegel. Ich sehe das Leuchten in meinen Augen, ich sehe Weihnachten in mir.

© Barbara Fath 2023-12-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Inspirierend, Reflektierend
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