“Wo sind die Wimpern?“

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story

Es ist zum Glück schon Freitag Nachmittag, denn in Lillys Gesicht sieht es nach Sonne aus. Die Wangen sind gesund getönt, weil von der Sonne geküsst, vom Strandspaziergang am Morsum-Kliff und das sieht zum hellblonden “Friesen”-Haar immer so 80er-Jahre-like aus, wo die Sonnenbanken die Mr. & Mrs. Fitness zu glänzend-braunen Muskelpaketen in engen Trainingsanzügen machten oder Ende der 70er, wo man mit einer gewissen Bräune anzeigte, dass man sich einen Urlaub am Meer leisten konnte oder im Besitz einer Villa mit eigenem Pool im Garten war.

Sie legte am Vorabend extra noch eine der neumodischen Gesichtsmasken auf, die man nur noch aus der Packung nehmen muss und triefend nass und kühlend auf die Haut des Gesichts auflegen und andrücken braucht. Nach der ersten Panik, weil die Augen- und Mundschlitze so klein waren, dies aber mit Einschnitten mit der Schere sofort so erweitert wurde, dass zumindest Zähneputzen und ein normaler Augenaufschlag möglich war, ließ es sich gut aushalten mit dem kalten, feuchtigkeitsspendendem Tuch auf dem Gesicht.

Es war ihre erste dieser Art und sie war gespannt, was diese neuen Beauty-Masken können, weil sie verschiedene, manche für Feuchtigkeit und eine gegen Falten – für die sie selbst ja nun wirklich noch keine Verwendung hat – von ihrer Tochter zugesandt bekam.

Das Face-Shield wärmte sich bald an und wurde nach mehr als 10 Minuten trockener und scheinbar hatte Lilly Haut so einen richtigen Wirkstoff-Input nötig. Sie erinnert sich an den Holzpflegebalsam in der braunen Sprühdose, dessen Holzpflegeschaum auch immer innerhalb wenigen Sekunden von der trockenen Oberfläche der Tischplatte aufgesogen war.

Nun sieht sie prall aus beim ersten morgendlichen Blick in den Spiegel. „Oder sind die Poren feiner?“ Das Rot des Lippenkonturenstiftes, den sie normalerweise nur einmal aufzutragen braucht und der dann den ganzen Tag hält, wenn sie niemand auf den Mund küßt, was ohne Partys oder Dates sowieso ausbleibt. Beim nächsten Blick in einen der vielen Spiegel – jede Ecke hat nun einen eigenen – die sie während der Woche in der Wohnung angebracht hat, um nicht mit der Mauer zu sprechen zu beginnen, fällt ihr auf, dass die Farbe verschwimmt.

“Tolle Maske.”, stellt sie fest, als sie über ihre Haut mit den Fingerspitzen tupft und die Lippenkontur nachzieht und die Pandaaugen bemerkt. “What?”. Der braune Lidschatten hat sich verselbständigt, wie das Blau auf der Leinwand, dass sich, weil es noch nicht trocken genug war, mit dem aufgetragenen Gold zu einem Schlammgrün vermischte. Das Braun ist jedenfalls nicht da, wo es sein soll, sondern viel zu weit oben Richtung Augenbraue, hält aber dafür umso besser.

Lilly kramt aus der Wastebox die Hülle der Gesichtsmaske, um diese nachzukaufen. „Oder liegt es an den fehlenden, angeklebten Wimpern?”. Sie läuft zum Schreibtisch, wo sie die abends abgezogen und abgelegt hat… und natürlich heute den ganzen Stapel neu gekaufter Bilderrahmen oben drauf.

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© Daniela Neuwirth 2021-03-26

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