von Rene_Stresemann
Krieg. Es ist Krieg. Es fällt mir nach wie vor schwer, das zu glauben. Wie so vielen. Ich hätte nie gedacht, dass er in meinem Leben so nah sein könnte. So real. Nachts ist mir manchmal, als würde ich die Schüsse hören. Die Detonationen der Raketen. Angezettelt von einem Mann. Einem Mann, der für meine Generation womöglich zum Inbegriff des Bösen werden könnte, wie es Hitler oder Stalin für meine Großeltern waren: Wladimir Putin. Das Böse in Menschengestalt. Ich habe selten solches Unverständnis, solche Wut, solche Abneigung empfunden. Und noch viel mehr, sodass es mich schlichtweg überwältigt.
Denn ich verspüre vor allem diese Ohnmacht. Es ist grausam, nichts dagegen tun zu können. Aber helfen, das kann ich. Den Menschen, die betroffen sind von diesem Wahnsinn. Diesem Wahnsinn, den ein geistig abnormer Staatschef entfesselt hat. So sitze ich hier und denke nach: Was kann ich tun? Nur ein paar T-Shirts, Socken und Hosen, gepaart mit Konserven und Hygieneartikeln zu spenden – das ist mir zu wenig. Ich verspüre eine solche Solidarität mit den Menschen in diesem plötzlich so nahen Land, dessen Grenze näher an meinem Heimatort liegt, als die Spitze des Arlbergs. Ich bewundere ihren Mut, ihre Leidenschaft, mit der sie ihr Land verteidigen. “Ihr Land” – was steckt da drin in diesem Begriff, frage ich mich, wo ich diese Worte niederschreibe? Ihre Heimat, ihre Werte, ihre Demokratie, ihre nationale Identität. Das, wofür sie nach der Ablöse des autoritär herrschenden Wiktor Janukowytsch so hart gekämpft haben. Und nun müssen sie erneut darum kämpfen. Das nötigt mir solchen Respekt ab. Ihnen will ich helfen. Ihnen werde ich helfen. Ich werde mich mit humanitären Institutionen in Verbindung setzen und etwas tun, um das Leid dieser Menschen zu lindern.
Und noch etwas habe ich bemerkt. Etwas, mit dem ich so nicht gerechnet hätte – nämlich, dass die Menschheit offenbar doch gelernt hat aus der Vergangenheit. Lange dachte ich, wir hätten nichts gelernt aus dem, was in den vergangenen 100 Jahren passiert ist. Doch gerade jetzt, wo der Konflikt und die Gefahr so unmittelbar sind, bemerke ich, wie einig sich die Menschen sind. Die Völker ringsum, sie wollen keinen Krieg. Sie wollen Frieden. Selbst Völker, die sich sonst eher ablehnend gegenüberstehen, sind plötzlich geeint. Sogar das russische Volk ist gespalten, ein immer größer werdender Teil lehnt diesen Krieg ab. Es liegt im Moment viel Schatten auf der Welt. Aber wo viel Schatten ist, da muss auch viel Licht sein. Wie auch immer dieser Konflikt ausgehen mag, er wird auch viel Gutes hervorbringen. Warum ich das weiß? Weil er es schon jetzt tut. Kaum einen treffe ich, der sich nicht in irgendeiner Form solidarisch zeigt, so viele wollen helfen. Das überwältigt mich erneut, aber im durch und durch positiven Sinne. Danke, dass sie uns, die Völker, die Menschen dieser Welt so geeint haben, Herr Putin. Ehrlich, ich danke ihnen. Denn dank ihnen weiß ich jetzt, wie gut die Menschen in Wahrheit sind.
© Rene_Stresemann 2022-03-01