Wo war nochmal der Orient?

Oguz Ipek

von Oguz Ipek

Story

Es war ein sehr schöner sonniger Dienstag in Istanbul. Das war in den Sommerferien 1987. Meine Eltern hatten eine Wohnung, die sie noch gekauft hatten, bevor mein Vater Anfang der 60er als Gastarbeiter nach Deutschland kam und wenig später meine Mama nachholte. Die Wohnung lag im sehr belebten Stadtteil Üsküdar und nicht weit vom stark frequentierten Hafen, von wo aus die Fähren im 20-Minuten-Takt den Bosporus querten. Neben der Bosporus-Brücke eine bis heute wichtige Verbindung zwischen dem den asiatischen mit dem europäischen Teil der Stadt.

So saß ich, wie so oft, am Hafen und genoss einen Tee und einen Sesamring. Chillen, wie die Jugend heute sagen würde. Um mich herum der klassische Wahnsinn einer Metropole. Menschen, Verkehr, Krach und Chaos, gepaart mit dem Jauchzen der Möwen, wie es sich für Istanbul eben gehörte. Mir war das Beobachten der Menschen zu einer Art Hobby geworden. Eine unbeschreibliche Vielfalt von Farben und Stimmen, die sich immer wieder überholten. Ich sah ein paar Jungs meines Alters, die aus dem europäischen Teil der Stadt kommenden Fähre ausgestiegen waren und etwas verloren einen Polizisten nach dem Weg fragten. Als ich merkte, dass die Unterhaltung auf Handzeichen beschränkt war, gab ich auch eins und bot meine Hilfe an. Total begeistert stürzten sich die Jungs auf mich. Sie waren auf der Abschlussfahrt. Gymnasiasten aus Stuttgart. Einer von denen verstand die ganze Zeit nicht, warum ich fließend Deutsch sprach. Dass ich selbst in Köln lebte und die Oberstufe dort besuchte, verstand er irgendwie nicht so richtig. Vermutlich gab es in seiner Schule oder gar Stadtteil kaum oder keine Türken in den Jahren. Die anderen fragten mich ganz aufgeregt nach dem asiatischen Teil der Türkei. „Treffer“, sagte ich, „fängt hier an und geht ein paar Tausend Kilometer in diese Richtung.“, und zeigte dabei gen Osten. Die Jungs drehten sich im Kreis, sahen die brodelnde Stadt und korrigierten sich den Kontinent betonend, „Nein, nein, den asiatischen Teil suchen wir. Wir wollen auf den Bazar und handeln.“. Trotz meiner Wiederholungen wollten sie sich irgendwie nicht überzeugen lassen. Nach einigen Versuchen merkte ich, dass sie entweder doof oder irgendeinem Idioten auf den Leim gegangen waren. „Was habt ihr denn erwartet? Männer mit Turbanen und fliegende Teppiche?“, fragte ich. Ja, genau das hatten sie erwartet. Das sprachen ihre enttäuschten Blicke. Ich bot ihnen den Wochenmarkt an, der immer dienstags etwas weiter oben stattfand. „Da könnt ihr auch handeln, ehrlich!“, tröstete ich sie. Vielleicht hätte ich sie bis dahin begleiten sollen. Sie haben Ali Baba und die 40 Räuber nicht gefunden, dafür aber die Wahrheit über Istanbul, und, dass nicht immer alles so ist, wie es in den Geschichten wiedergegeben wird.

© Oguz Ipek 2021-03-02

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