Wofür soll ich dankbar sein?

Ich soll dankbar sein, dass ich in dieses Land hineingeboren wurde, Aber meine ersten Tage auf der Welt verbrachte ich im Brutkasten, weil ich angeblich zu gelb war. Das ist meine Hautfarbe.

Ich soll dankbar sein, dass ich hier aufwachsen darf, Aber im Kindergarten konnte meine Erzieherin meinen Namen nicht aussprechen, und die Kinder grenzten mich aus, weil ich anders war.

Ich soll dankbar sein, dass ich hier aufwachsen darf, Aber ich wurde in der Grundschule getreten und geschlagen, bis ich die Schule wechseln musste. In der zweiten Schule ging der psychische Terror weiter – von Mitschülern, von Lehrern, durch Intrigen.

Ich soll dankbar sein, dass ich hier aufwachsen darf, Aber Klassenunterschiede sind mehr als deutlich zu erkennen. Lehrern ist es egal, dass Schule nicht die Top-Priorität sein kann, wenn deine Familie jeden Euro zweimal umdrehen muss.

Ich soll dankbar sein für die Bildung, die mir hier ermöglicht wird, Aber eigentlich ist es ein Favoritenspiel, bei dem zählt, wer am besten bulimiehaftes Lernen beherrscht. Wer kann ohne reiche Eltern studieren und dabei schuldenfrei bleiben? Es sind die Privilegierten, die gewinnen – immer und überall.

Ich soll dankbar sein, eine Arbeit zu haben, Aber was bringt mir das, wenn ich mich 40 Stunden die Woche abmühe und als Frau und Migrantin nicht ernst genommen werde? Warum werde ich von veralteten Denkmustern alter weißer Männer eingeengt? Warum bekomme ich als erwachsene, selbstständige Person mehr Zwänge auferlegt als im Kindergarten? Warum muss ich doppelt so laut schreien, um überhaupt gehört zu werden?

Ich soll dankbar sein für das Gesundheitssystem, Aber wenn es hart auf hart kommt, bekomme ich keine Termine, keine Tests – und werde mit einem Rezept für Tee, Spaziergänge und Stressreduktion nach Hause geschickt. Meine chronischen Schmerzen sind angeblich nur in meinem Kopf.

Ich soll dankbar sein, in einem Solidaritätsstaat zu leben, Aber während ich arbeite und Steuern zahle, sehe ich, wie Rentner im Müll nach Pfandflaschen suchen. Solidarität? Für wen?

Ich soll dankbar sein für die Toleranz, für die dieses Land angeblich steht, Aber warum höre ich immer wieder Sätze wie „Sprichst du überhaupt Deutsch?“ oder „Woher kommst du wirklich?“

Ich soll dankbar sein für die deutsche Ordnung und Bürokratie, Aber warum dauert es Monate, um einen Termin beim Amt zu bekommen? Warum fühlt sich jeder Behördengang an wie ein endloser Hindernisparcours?

Ich soll dankbar sein für die Demokratie, in der ich lebe, Aber warum fühlt es sich an, als ob meine Stimme nichts zählt? Warum entscheiden alte Männer über meine Zukunft, während sie nichts von meinem Leben wissen?

Ich wünschte, ich käme nicht von hier.