Wohin Pfade so führen

Musenzeit

von Musenzeit

Story
Italien / Assisi 2024

Durch das bewegte Blätterdach, das sich mit dem schmalen Pfad zur Burg Rocca Maggiore hinauf windet, blitzt die Morgensonne. Seitenfenster des dichten Laubwerks geben gemäldeartige Ausblicke auf das Valle Umbria und Assisi frei. Es ist nur noch ein Wanderer außer mir auf diesem Weg unterwegs. Seine cremefarbene Labradordame Bella gesellt sich an meine Seite. Das Bergauf endet, und Bella legt sich vor der sonnenverwöhnten, imposant verfallenen Burganlage gleich in den Schatten einer Aussichtsbank. Die Häuser der Altstadt liegen morgensonnensanft gemalt im großzügigen Schoß der Atemwellen dieser Hügellandschaft.
Noch sind kaum Menschen hier oben. Am Eingang entdecke ich ein kleines Café an der Burgmauer, dort mache ich einen Zwischenstopp und genieße den betörenden Ausblick mit Cappuccino unter fruchtschwer schaukelnden Olivenbaumzweigen.
Die Burgtore öffnen sich nun und laden auf eine Zeitreise in eine Wunderwelt ein. Unerwartet atmosphärisch ergreifend verbinden sich die Vergangenheitsspuren von Kampf und Verteidigungstrotz mit den restaurierenden, friedensbewegten Impulsen der Gegenwart mit dem Mittel moderner Kunstinstallationen, die den historischen Charakter der teilrenovierten Räumlichkeiten herausfordern und Erneuerungsimpulse geben. Eine Stadt aus abbrennenden Kerzen. Eine Traumstadt aus japanischem Pergament. Durchscheinende Tücher renovieren einen Saal, poetisch aufgewertete Außenspiegel reflektieren Licht und Gedanken ins Jetzt. Die Stadtbewohner Assisis ließen die ehemalige Befestigungsanlage zur Machtsicherung im zuletzt päpstlichen Auftrag nach deren Plünderung im 17. Jh. zunächst verfallen. In jüngster Zeit besteht vermehrt Interesse an Restaurierung und Wiederbelebung der Anlage, die einst als Besetzungsburg der feudalen schwäbischen Herrschaft über Assisi im Jahre 1174 gebaut und von den Bewohnern Assisis in Abwesenheit der Belagerer gestürmt und flux abgebrannt wurde. Mich erinnern die Gemäuer an Zeffirellis Film „Bruder Sonne, Schwester Mond“ (1972). Klaustrophobisch enge Verteidigungstunnel innerhalb der Burgmauern führen rund um die Burg, die Schießscharten efeuverwuchert. Körperschweißnah zwängt man sich entschuldigungsmurmelnd lachend aneinander vorbei. Vom Wachturm aus erfrischt ein schwindelerregend schöner Rundumblick.
Aus Neugier folge ich einem pittoresken Fußpfad unterhalb der Burgmauer. „Excuse me, please, do you know where this path leads to?“, frage ich einen Mann, der mir bewandert erscheint. Entspannt, mit abgeschnürten Wanderschuhen, sitzt er barfuß am Wegesrand. „No idea but it’s so beautiful here.“ Stimmt, der Ausblick ist traumhaft! Ich bleibe und schaue eine Weile mit. Dazu entspinnt sich ein leises Gespräch. Eer ist Schweizer und auf spontane Eingebung nach Assisi gereist. Durch seinen Erzählstrom perlt die Begeisterung für diesen Ort. Wir tauschen Erlebnisse und Reisetipps aus, bevor mich der Mittagshunger auf befestigten Wegen weiter spazieren lässt. Er bleibt weiter sitzen. Sein Händedruck ist ein warmer Hauch.
Der Tisch des versteckten Terrassen-Gartenlokals bietet mir den Blick auf San Ruffino, bepflanzte Geranientöpfe und Tauben auf Dächern. Und außerdem natürlich ein italienisch-mediterranes Geschmackserlebnis zum Aufseufzen. Ach, bella Italia! Und Bella, ja – die Treuselige ist mit einem deutschen Rentnerpärchen nun im Wohnwagen zum nächsten Reiseziel unterwegs…

© Musenzeit 2024-10-09

Genres
Reise
Stimmung
Informativ, Inspirierend, Unbeschwert