Wolkenflug

Marius Kirchmann

von Marius Kirchmann

Story

Ich schaue unbesorgt auf mein Handy, laufe durch die Gegend. Fast sträflich, wie unvorsichtig Ich weiterlaufe, ohne meinen Blick nach vorne zu richten, wird meine Aufmerksamkeit durch plötzliche Dunkelheit erweckt. Wie kann das sein? Ich schaue Richtung Himmel und sehe blauen Himmel. Auch keine Bäume sorgen für plötzlichen Schatten. Und das seltsamste: Wieso scheint die Dunkelheit mich gerade zu verfolgen? Müsste ein Schatten nicht an einer Stelle bleiben und Ich kann einfach fort gehen? Zurück in das Sonnenlicht? Langsam fühle Ich mich verfolgt. Ich bleibe einen Moment stehen. Ich schaue nach rechts, Ich schaue nach links. Nichts. Ich drehe mich um. Nichts. Aber der Schatten bleibt da. Ich drehe mich wieder zurück, mein Kopf noch leicht zurückgedreht. Nur für den Fall, dass Ich doch noch jemanden sehe. Es wird immer seltsamer. Ich verfange mich in irgendwas. Irgendetwas Weiches, aber auch staubiges berührt mein Gesicht. Es fühlt sich an, als würde Ich direkt durch etwas laufen. Als Ich meinen Blick wieder fokussiere, sehe Ich es. Eine Wolke?! So tief? Sie schwebt einfach auf der Stelle. Sieht aus wie jede normale Wolke am Himmel, aber ist so weit unten auf der Erde. Ich kann um sie herumgehen. Ich kann darunter schauen, darüber schauen, sie berühren. Der wahre Kern offenbart sich mir erst, als meine Hand eine festere Oberfläche an der „Wolkenhaut“ bemerkt. In der Mitte hat sich ein kugelförmiges Wesen versteckt, dass die Wolke als Tarnung benutzt. Nur wenn man ganz nah herangeht und durch die dünnen Schichten aus Wolkenwatte sieht, erkennt man es. Es ist orange, wie die Sonne, hat nach unten hin einen Verlauf zu blutigem rot und trägt grün, blaue und gelbe Streifen, die jeweils zwei Dreiecke bilden. Sie sehen aus wie Augen, aber ob es mich damit sehen kann, weiß Ich nicht. Was Ich nun schon gelernt habe. Es scheint die Nähe zu anderen zu suchen, hat aber gleichzeitig Angst davor und versucht deshalb vorsichtig auf sich aufmerksam zu machen. Es lebt versteckt, damit es sicher ist. Es stellt sich vor, wie es wäre mit anderen zusammenzuleben und die Fantasie hält es am Leben. Doch als es irgendwann das Bedürfnis verspürte die Fantasie zur Realität werden zu lassen, musste es sich langsam aus seinem Lebensraum heraus trauen. Eine große Bedrohung, denn seit seiner Geburt hat er nie Sicherheit und Balance verspüren können. Er musste sich schnell an die Unsicherheit gewöhnen und sich Routinen aufbauen. So ist bis heute alles Unbekannte für ihn gefährlich. Je länger Ich es betrachtete, desto mehr bemerkte Ich, wie geehrt Ich mich fühlen kann. Trotz der Gefahr, trotz der Unsicherheit traut sich das Wesen so nah an mich ran und lässt mich es genau beobachten. Als Ich nur eine Sekunde meinen Blick abwende, stelle Ich fest, dass Ich von den anderen Menschen hier musternd angeschaut werde. Als wäre es seltsam sich etwas genauer anzuschauen, was man zum ersten Mal sieht. Doch je mehr Menschen zu mir starren, desto mehr verstehe Ich. Sie sehen das Wesen nicht. Sie sehen die Situation so, als würde Ich etwas anstarren, was gar nicht existiert. Was bedeutet das? Warum sehe Ich es, aber die anderen nicht? Dann verstehe Ich. Sie sehen nicht nur das Wesen nicht, sie sehen auch mich nicht. Sie sehen nur die Schatten, die wir gemeinsam auf den Boden werfen. Und sie fühlen sich deshalb, wie Ich zu Beginn. Wo kommt die plötzliche Dunkelheit her? Denn ein Schatten sollte sich eigentlich nicht bewegen…

© Marius Kirchmann 2025-02-01

Genres
Science Fiction & Fantasy